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Hör-Funken: Das kleine Leben/Wende und Lorbeergewinde

Das kleine Leben. („Stadtluftundliebe“, 2015 - 2145, SFB 3) Schwersinnundtieferebedeutung steigt aus „Stadtluftundliebe“ empor, und wo bleibt da Scherz, Satire und Ironie, wenn zwei schweigsame Stadtmenschen „über sich, den anderen oder die Stadt, nur selten jedoch miteinander“ sprechen? Vielleicht bei den anderen Figuren dieses Hörspiels: der „Frau mit der rauhen Stimme“, dem „Mann, der wie ein höflicher Mensch spricht“, der „sehr alten Frau“ oder dem „Kehlkopflosen“ und wie die allegorischen Figuren aus dem Kulturbeutel a la Botho Strauß sonst noch heißen. Wenn nicht alles täuscht, fangen schließlich auch noch die Städte selbst an zu sprechen, und zwar unter anderem über die „Melancholie des Paares, das die Vergeblichkeit des dauerhaften Zueinanderfinden mit der zum Fetisch erhobenene 'Aura‘ des Großstadtlebens zu bemänteln sucht.“ Eigentlich, so ist dem SFB-Pressetext zu entnehmen, versuchen sich in dem Hörspiel aber zwei Liebende in entfernten Städten zu verabreden. Wie einfach das kleine Leben doch sein kann und wie wolkig werden unter der Dunstglocke des Tiefsinns.

Wende und Lorbeergewinde. („Unerwünschte Meisterschaft“, 2100 - 2200, NDR 3) Wenn Rudolf Borchardt, der Lyriker, Dante-Übersetzer und nationalkonservative Haudegen, erst jetzt wiederentdeckt wird, dann nur, weil die Kultur dem neokonservativen Zeitgeist auf Zehenspitzen, aber gradlinig hinterherschleicht. Seine Gedichte und Übersetzungen zu lesen, wäre auch schon vor zwanzig Jahren angebracht gewesen, und getan haben das nur einige Unentwegte wie Heißenbüttel und Adorno. Wer Borchardts elitäres Dichtertum neben seinem konservativen Trotzkopf zum Anlaß nahm, ihn zur poetischen Unperson zu erklären, muß jetzt erst klammheimlich durch die eigene Tabu-Kruste dringen, um beim Hüter & Erzieher der deutschen Nation, aber auch dem exzellenten Silbenstecher anzukommen. Die Parole der Zeit lautet daher: „Behutsame Wiederannäherung“.

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