Seh'n oder Nichtseh'n

■ ZDF: Die erste Folge des Fünfteilers „Die Bertinis“ nach Ralph Giordano

Seit Wikläff Droste, der linksgescheitelte Autonomen-Primus, Platzwart auf der überregionalen taz-Medienseite ist, herrscht dort die teutonisch-brutale Variante des Zynismus, die linke Polizistenschule in ihrer haudruffundwegdamit -Mentalität. So auch am Montag, als „Die Bertinis“ nicht an -sondern abgekündigt wurden: „Ralph Giordanos fernsehgerechte Bestseller-Familiengeschichte, in fünf Teile und vertraute Bilder zerlegt, die uns das Unrecht im Fernsehsessel wiedererkennen lassen, ja, so war das damals, vor langer Zeit, furchtbar.“

Da spöttelt der gleiche aut-ego-aut-nihil-Geist, der andererseits mit geiferndem Sabber vor dem After in der taz vom 17.10. unter dem Kürzel T.K. (taucht auch als Medienseiten-Kotzlümmelin auf) eine Berliner Disco als „gaskammervoll“ bezeichnet hat. Soviel zu denen, die sich aus unerfindlichen Gründen für berufen halten, die - von Wolfgang Pohrt zu Recht „Verbrüderungskitsch“ genannten Vergangenheitsbewältigungsorgienin ein Projekt wie „Die Bertinis“ hineinzugiften.

Aber da muß man schon ein bißchen genauer hingucken. Und wenn der sattsam bekannte deutsche Überdruß, den es seit 1945 gibt, quengelt: Muß denn nun noch ein Fernsehspiel sein über die Zeit der Nazis, über das Schicksal einer jüdischen Familie - dann bin ich der Meinung: allerdings. Und zwar deshalb, weil sich schon seit längerem beobachten läßt, daß die Zeit des Faschismus im Film als kulissenhaftes Nostalgie -Ambiente salonfähig geworden ist; daß sich - wie etwa in „Jokehnen“ oder „Der Schrei nach Leben“ - unbedarfte Faschisten auf der einen, und um ihr Leben kämpfende Juden auf der anderen Seite in knatterchargierender, poltriger Dramatik erfolgreich verkaufen und verraten lassen. Solche Filme entsprechen der historischen Vergeßlichkeit. Sie anästhesieren das Bewußtsein und geilen es zugleich auf mit künstlicher, serien-sehgewohnter Pseudotragik. Egon Monk hingegen, der die Geschichte einer jüdischen Familie, die in Hamburger Kellern überlebt hat, fürs Fernsehen verfilmte Egon Monk rückt mit dieser Chronik dem eingeschlafenen Publikum auf den Pelz.

Monks Detailgenauigkeit ist, anders als in den modischen Faschismus-Filmen, keine Verliebtheit in die Authentizität der Requisiten - es ist eine Genauigkeit, die durch das Zusammenwirken von Umgebung, Gesten, Worten, Mienen, Tempo historische Stimmigkeit, Distanz und zugleich analytisch -kühle Nähe schafft. Montierte Momentaufnahmen, Blicke, Szenen erzählen in der ersten Folge, die mit Großvater Giacomo Bertinis Abschied von Sizilien 1882 beginnt, die Chronik der italienisch-schwedisch-jüdischen Familie - bis hin zu Alf und Lea, die mit ihren drei Söhnen 1932 in kleinbürgerlicher Armut leben.

Dem Miterleben, Mitleiden, der wohlfeilen Identifikation verweigert sich die präzise, unterkühlte, intellektuelle Erzählweise Egon Monks. Der dumpf-deutschen Debilität von T.K. und Kohorten muß dieser Fernsehfilm ja zuwider sein.

Sybille Simon-Zülch