: Kiel, München, Berlin
■ Stationen einer deutschen Revolution
Michael Seligmann Kiel
Am 1.November 1918 liefen fünf Großkampfschiffe der Reichsmarine mit über 5.000 Mann Besatzung in den Kieler Hafen ein. 47 Matrosen verbrachten die zweitägige Fahrt von Wilhelmshaven nach Kiel in den Arrestzellen der Schiffe. Ihnen drohte als angeblichen Rädelsführern einer Matrosenmeuterei die Hinrichtung. Die Wilhelmshavener Matrosen-Rebellion hatte den Plan der kaiserlichen Admiralität verhindert, die Kriegsflotte in einem letzten sinnlosen Gefecht lieber glorreich untergehen zu lassen, als sie den Alliierten nach der bervorstehenden Kapitulation unversehrt übergeben zu müssen.
Kaum angekommen, suchten Matrosenvertreter deshalb Kontakt zu den Kieler Gewerkschaften und zur dortigen SPD. Am 3.November demonstrierten 6.000 Matrosen und Arbeiter durch die Straßen der Stadt, um die Freilassung ihrer Kameraden und das sofortige Kriegsende zu fordern. In der Innenstadt wurde der Zug auf Befehl des Kieler Militärgouverneurs Admiral Souchon mit Schüssen in die Menge gestoppt. Sieben Tote und 29 Verletzte waren das Resultat. Die Revolution begann.
Am nächsten Morgen rebellierten auch die 50.000 in Kiel stationierten Marineinfanteristen; die Arbeiter der großen Germania-Werft und der Torpedo-Werkstatt schlossen sich an. Tausende Matrosen und Arbeiter bewaffneten sich, wählten Räte und verlangten unter anderem die sofortige Freilassung sämtlicher politischer Gefangener, die Aufhebung der Briefzensur, Meinungsfreiheit und eine Reform des militärischen Dienstbetriebs. Souchon lenkte ein: Die 47 Inhaftierten wurden freigelassen, herangekarrte Heerestruppen zur Niederschlagung des Aufstands wieder abgezogen.
Am Abend des 4.November traf mit dem Zug aus Berlin der von Souchon telegraphisch angeforderte „hervorragende sozialdemokratische Abgeordnete“ ein, der die Revolution noch verhindern sollte: Gustav Noske. Am Bahnhof empfingen ihn hunderte begeisterter Matrosen, die ihn sofort als ihren Sprecher akzeptierten. Er galt ihnen als Vertreter jener Regierung, deren Bemühungen um einen Waffenstillstand sie mit ihrer Rebellion hatten unterstützen wollen. Nach seinen Absichten fragte niemand.
Der 5.November 1918 in Kiel stand ganz im Zeichen von Noskes Beschwichtigungspolitik angesichts des für die Stadt ausgerufenen Generalstreiks. In allen Betrieben und auf allen Werften ruhte die Arbeit. Auf den Schiffen hißten die Matrosen rote Fahnen statt der kaiserlichen Flaggen und rissen den Offizieren ihre Rangabzeichen herunter. Mittags versammelten sich Tausende auf dem Wilhelmsplatz zu einer Demonstration. Neben anderen erhielt auch Noske das Wort und erntete jubelnde Zustimmung für seinen Vorschlag, selbst die Leitung des Kieler Soldatenrats zu übernehmen.
Noch am selben Nachmittag rief er knapp 60 Vertrauensleute der Matrosen zusammen, um aus ihrer Mitte zwei Handvoll auszuwählen, die den Soldatenrat unter seinem Vorsitz bilden sollten. In einer ersten Anordnung hieß es, Ruhe und Ordnung seien zu wahren und den Direktiven des Rates strikt zu folgen.
Getragen von der Sympathiewelle für seine Person, gelang es Noske in einem nächsten Schritt - in Absprache mit den führenden Lokalpolitikern der beiden sozialistischen Parteien -, den Gouverneurs-Posten zu übernehmen. Auf Empfehlung Souchons bestätigte ihn das kaiserliche Reichsmarineamt in Berlin als seinen Statthalter. Damit hatte er die Macht von der revolutionären Institution Soldatenrat wieder auf ein traditionelles Amt zurückverlagert. Eine seiner ersten Amtshandlungen war dann auch die Verhinderung der Ausrufung einer Republik Schleswig -Holstein und die Einsetzung einer republikanischen Provinz -Regierung durch den Kieler Arbeiterrat. Kiel, Ausgangspunkt der Revolution, verlor durch Noskes Eingreifen seine anfängliche Bedeutung als Triebfeder der Revolution. Die Revolution in München
Am 3. und 4.November hatten sich kleine Gruppen revolutionärer Matrosen von Kiel aus zu den großen Marinestützpunkten und Garnisionsstädten in Norddeutschland aufgemacht, um die Revolution ins Land zu tragen. Am 5. und 6.November hatte die revolutionäre Welle bereits alle norddeutschen Häfen erfaßt, von Rostock nach Rendsburg, Hamburg und Bremen bis nach Oldenburg. Nach Bayern kamen die Nachrichten über ihre Ausbreitung als erlösender Hoffnungsstrahl.
In Nürnberg hatten am 3.Noevmber bereits 40.000 für die Absetzung des Kaisers und den sofortigen Friedensschluß demonstriert. Am 5.November entbot der bayerische USPD -Vorsitzende Kurt Eisner auf einer vieltausendköpfigen Versammlung seiner Partei in München den Kieler Matrosen die solidarischen Grüße des bayerischen Volkes und kündigte den Sturz der Wittelsbacher Monarchie innerhalb der folgenden 48 Stunden an; dafür verpfände er seinen Kopf.
Unter dem Druck der von den Unabhängigen vorangetriebenen Massenmobilisierung stimmte die auf Ausgleich bedachte Führung der bayerischen SPD einer Großdemonstration für den Frieden zu. Ihr Vorsitzender Erhard Auer wußte die besorgten königlich-bayerischen Minister auf einer Vorbesprechung zu beruhigen: „Reden Sie doch nicht immer von Eisner; Eisner ist erledigt. Sie dürfen sich darauf verlassen: Wir haben unsere Leute in der Hand.“
Als sich am 7.November 1918 50.000 und mehr Menschen auf der Theresienwiese im Herzen der Stadt versammelten, riefen Eisner und weitere radikale Unabhängige die anwesenden Soldaten beiseite. Während sich der Großteil der Demonstration hinter Auer und der SPD-Spitze friedlich Richtung Innenstadt bewegte, zog die USPD-Führung mit einigen hundert Soldaten zu den Kasernen der Stadt. Unter anfeuernden Hoch-Rufen auf die Revolution schlossen sich ihnen sämtliche Münchner Regimenter ohne Widerstand an.
Der überraschte Auer erfuhr davon erst mehrere Stunden später in seiner Wohnung. Unterdessen hatten Eisner und die ihn begleitende Menge im Mathäserbräu längst einen Arbeiter und Soldatenrat gewählt, von revolutionären Soldaten Bahnhof, Telegraphenamt und Polizeipräsidium besetzen lassen und befanden sich auf dem Weg ins Landtagsgebäude. Dort verkündete Eisner den Sieg der Revolution und wurde unter dem Beifall der Menge zum provisorischen Ministerpräsidenten erkoren. Noch in der Nacht auf den 8.November prangte die erste Proklamation der Räte an den Plakatsäulen der Stadt.
Am Morgen des 8.November war der gerade gewählte Arbeiter und Soldatenrat der tatsächliche Inhaber der bayerischen Staatsgewalt. König Ludwig war noch in der Nacht zuvor aus München geflohen. Auer, der den Umsturz nicht gewollt hatte, willigte in Eisners Angebot, die Regierung gemeinsam zu bilden, ein. Er selbst aber mußte sich mit dem Innenministerium begnügen, das Amt des Ministerpräsidenten und zugleich des Außenministers behielt der Unabhängige Eisner.
Auf die Nachricht vom erfolgreichen Umsturz in München hin breitete sich die revolutionäre Bewegung in ganz Bayern rasch aus. Zumeist ging die Machtübernahme jeweils von den spontan gewählten Soldatenräten der lokalen Garnisonen aus, die eng mit den Funktionären von SPD und USPD zusammenwirkten. Am 8. und 9.November schlossen sich 33 bayerische Städte und Städtchen der Revolution an, von Hof und Würzburg im Norden, über Nürnberg, Fürth und Ausgburg bis Lindau und Traunstein im Süden. Überall wurden die öffentlichen Gebäude von revolutionären Soldaten besetzt und mit roten Fahnen geschmückt.
Die bayerische Monarchie war sang- und klanglos zusammengebrochen, kein einziger Schuß gefallen. Bayern war damit der erste Flächenstaat des Reiches, in dem die Revolution gesiegt hatte; knapp zwei Tage, bevor in Berlin die Republik ausgerufen wurde.
In Köln hatten 200 gerade eingetroffene Kieler Matrosen im Verlauf des 7.November und der folgenden Nacht ebenfalls die Wahl von Arbeiter- und Soldatenräten erreicht. Am nächsten Morgen akzeptierte als erster der konservative Oberbürgermeister Konrad Adenauer die neuen Machtverhältnisse und bot den Räten Diensträume im Rathaus und eine gedeihliche Zusammenarbeit zum Wohle der Stadt an. Dafür aber sollten die Räte auf das Hissen der verhaßten roten Fahne auf dem Dach des Gebäudes verzichten. Was sie dann auch taten.
Im Laufe des 8.November trafen im preußischen Kriegsministerium immer mehr Nachrichten über die Erfolge der Revolution ein: „5 Uhr nachmittags: Halle und Leipzig rot. Abends: Düsseldorf, Haltern, Osnabrück, Lüneburg, rot; Magdeburg, Stuttgart, Oldenburg, Braunschweig, Köln rot. 7 Uhr 10 nachmittags: Stellvertretendes Generalkommando XVII.Armeekorps in Frankfurt a.M. abgesetzt.“ Berlin
In der Reichshauptstadt bemühte sich die Spitze der SPD zusammen mit den sozialdemokratischen Mitgliedern der Reichsregierung um den Erhalt der monarchistischen Ordnung. Noch am 8.November verbreiteten sie einen Aufruf, in dem es unter anderem hieß: „Nur jetzt keine Unbesonnenheiten, die das an der Front beendete Blutvergießen im Lande wieder aufleben lassen! Die Sozialdemokratische Partei setzt ihre ganze Kraft ein, Eure Forderungen schnellstens zur Erfüllung zu bringen!“ Verstrickt in vermeintlich realpolitische Notwendigkeiten der Reichspolitik, bemüht um einen glimpflichen Verlauf der Waffenstillstandsverhandlungen, konnten sie aber die Hauptforderungen der letzten Tage, Abdankung des Kaisers und des Kronprinzen sowie Ausrufung der Republik nicht durchsetzen.
Als im Verlaufe des 8.November fünf USPD-Versammlungen zur Feier der russischen Oktober-Revolution vom Berliner Polizeipräsidenten verboten, militärisch wichtige Punkte der Stadt durch loyales Militär besetzt und Ernst Däumig, Vertreter der Berliner Revolutionären Obleute, verhaftet wurden, griffen die Beschwichtigungsappelle der SPD-Führung nicht mehr.
Am Morgen des 9.November 1918 legten die Menschen in den Betrieben der Stadt die Arbeit nieder und zogen in langen, spontan gebildeten Demonstrationszügen in das Stadtzentrum. Unterwegs schlossen sich auch bis dahin als loyal geltende Truppenverbände an. Unter dem oft beschimpften Druck der Straße erfolgte die Ausrufung der „deutschen Republik“ durch Philipp Scheidemann und der „freien sozialistischen Republik“ durch Karl Liebknecht. Mittags schon hatte der Kaiser seinen Rücktritt erklärt. Anders als in München allerdings kam es zu Schießereien mit reaktionären Offizieren, die auf Seiten der RevolutionärInnen 15 Tote kosteten.
Wie Noske in Kiel, so war auch Friedrich Ebert, Vorsitzender der SPD, bestrebt, ein Höchstmaß an institutioneller Kontinuität zu wahren. Ließen die Ereignisse eine bürgerliche Koalitionsregierung womöglich innerhalb einer konstitutionellen Monarchie nicht mehr zu, wollte er seine zukünftige Kanzlerschaft doch durch die überholte kaiserliche Regierung legitimiert sehen:
„Der bisherige Reichskanzler Prinz Max von Baden hat mir unter Zustimmung der sämtlichen Staatssekretäre die Wahrnehmung der Geschäfte des Reichskanzlers übertragen,“ ließ Ebert am Mittag des 9.November erklären. Und als die rechte Hand Hindenburgs in der Obersten Heeresleitung, Generalleutnant Wilhelm Groener, am Abend desselben Tages ihm über eine geheime Telefonleitung die Zusammenarbeit anbot, nahm Ebert gerne an.
Der Revolution mit Widerwillen gegenüberstehend, suchte er wenigstens die Einbeziehung der USPD in die sozialdemokratische Ordnungspolitik durch interne Verhandlungen über die Bildung einer rein sozialistischen Koalitionsregierung aus je drei „Regierungssozialisten“ und drei Unabhängigen unter seiner Kanzlerschaft zu erreichen. Durch geschickte Einflußnahme auf die für den 10.November einberufene Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte, die teilweise erst in den Morgenstunden dieses Tages gewählt worden waren, erreichten die sozialdemokratischen Funktionäre die Anerkennung dieser sogenannten „Regierung der Volksbeauftragten“ durch die Mehrheit der Räte. In der ersten programmatischen Erklärung der Revolutions-Regierung war weder von Sozialismus noch von Demokratie etwas zu lesen. Vielmehr war die Rede von Sozialpolitik, Schutz des Eigentums und Aufrechterhaltung der Produktion. Und eine konstituierende Versammlung, hervorgehend aus „gleichen, geheimen, direkten und allgemeinen Wahlen“ wurde angekündigt.
Richard Müller, profilierter Vertreter der Revolutionären Obleute, kommentierte diesen Ausgang so: „Der Aufstand vom 9.November hatte der gesamten Bourgeoisie in Berlin einen furchtbaren Schrecken eingejagt. Die ersten Maßnahmen der Volksbeauftragten zeigten aber, daß dazu keine Veranlassung vorlag.“
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