Bußgeld für geschwänzte „Freizeit“

■ Richter: Schulpflicht ist wichtiger als die Gesundheit der Schülerin

Es heißt zwar „Freizeit“, doch wenn eine Schülerin der Gesamtschule Ost nicht hingeht, ist das ein Verstoß gegen das Bremische Schulgesetz und kostet im Zweifel eine Geldstrafe. So geschehen im Fall der Sechstklässlerin Lisa M. Weil Lisas Mutter jedoch die 250 Mark Strafe für die mehrmals versäumte „Freizeit“ ihrer Tochter nicht zahlen wollte, landete der Fall gestern vor Gericht und fand in Amtsrichter Wolfgang Rathke einen scharfen Wächter des Rechts.

„Ich habe Lisa bewußt fehlen lassen“ gestand die Mutter und begründete: „Meine Tochter war krank. Sie hatte große Angst, in die Schule zu gehen. Sie wurde dort gequält, diskriminiert und von Jungen aus ihrer Klasse geschlagen.“ Die Sozialpädagogin und der Lehrer der Klasse bestätigten als Zeugen vor Gericht, daß es „schon eine besondere Klasse“ gewesen sei. Kurz bevor Lisa M. nicht mehr zur nachmittäglichen „Freizeit“ erschienen war, hatte sogar die Elternvertretung die Ablösung des Klassenlehrers gefordert, weil die Zustände „unhaltbar“ geworden seien. Ein Ansinnen, daß sogar Richter Rathke einleuchtete: „Das muß tatsächlich als eine Unmöglichkeit angesehen werden, wenn eine Klasse nicht mehr unterrichtet werden kann - denn dazu ist sie ja gerade da!“

Doch damit endete das Verständnis des Richters jedoch schon wieder. Als „komisches Rechtsverständnis“ bezeichnete er, daß die Mutter die Gesundheit ihrer Tochter höher wertete als die Erfüllung der Schulpflicht für „Freizeit“. Denn Lisas häufige Krankheit habe psychosomatisch direkt mit der Angst vor den Mitschülern der eigenen Klasse zu tun gehabt. Und die Versetzung von Lisa zusammen mit ihrer Freundin Veronika in eine andere Klasse hatte die Schule abgelehnt. „Es gab nur die Alternative, Lisa ohne den Schutz ihrer Freundin alleine in eine andere Klasse zu schicken oder die wenigen Wochen bis zum Ende der Orientierungsstufe abzuwarten und möglichst erträglich zu gestalten“, versuchte die Mutter vor Gericht ihre Entscheidung zu begründen.

Doch Richter Rathke zeigte kein Pardon: „Man kann als Kindesmutter nicht sagen 'Alles oder Nichts‘.“ Dafür gäbe es schließlich die Schulpflicht. Besonders zu ärgern schien den Wächter des Rechts die Tatsache, daß Lisa zusammen mit vier Freundinnen als ganze Gruppe aus der Steintor-Grundschule in der Schmidtstraße an die GSO gekommen war. „Vielleicht könnte das Problem auch darin liegen, daß hier Eltern über ihre Kinder eine pädagogische Auffassung durchsetzen wollten, die im Gegensatz zum Unterrichtsstil der Gesamtschule steht“, mutmaßte er.

Schließlich wachte selbst Staatsanwalt Quick auf, der bis dahin stumm: „Wir machen hier aus einer Bußgeldsache ein Schwurgerichtsverfahren“ empörte er sich dagegen, daß der Verteidiger die Zeugen ausführlich befragen wollte, die die Staatsanwaltschaft selber bestellt hatte. Nur Richter Rathke schien der Prozeß richtig Spaß zu machen: Er vereinbarte drei Fortsetzungstermine und warnte gleichzeitig die Mutter: „Ich darf Ihnen nicht besonders große Hoffnung machen.“

Ase