piwik no script img

Wenn der Rabbiner betet

■ Bürgerschafts-Präsident Klink enthüllte Gedenkstein vor der Synagoge

Gestern vormittag um 11 Uhr galt es, vor der Bremer Synagoge einen Gedenkstein einzuweihen. Den unbehauenen Stein aus den Jerusalemer Bergen hatte die Bremer Bürgerschaft fünfzig Jahre nach der „Reichskristallnacht“ vor der Synagoge aufstellen lassen - und zwar, wie der prosaische Senatspressedienst keineswegs zu gedenken vergaß, „aus Mitteln der Stiftung Wohnliche Stadt“.

Zwei Männer hatten die Aufgabe, den Stein einzuweihen und öffentlich der Opfer des Holocaust zu gedenken. Sie wählten dafür unterschiedlich schlichte Formen. Der eine, Bürgerschaftspräsident Dr. Dieter Klink, hielt - wie wäre es auch anders vorstellbar - eine seiner Reden, und der andere, Rabbiner Dr. Benjamin Barslai - betete.

Repräsentator Dr. Klink, bekannt für seine extrem worthülsigen und nicht unbedingt durch Sachkenntnis getrübten Ansprachen, las wider Erwarten auch einige sehr eindringliche und schlichte Sätze vor. So berichtete er davon, daß kein einziges jüdisches Kind in Bremen den Holocaust überlebt hat und daß von 1945 bis heute in der israelitischen Gemeinde erst fünf Kinder geboren wurden. Doch nicht in allen Sätzen erinnerte er so nachdrücklich an den Verlust, der Bremen und seiner israelitischen Gemeinde entstanden ist durch die Vernichtung und Vertreibung der jüdischen BremerInnen. So ließ er es sich nicht nehmen, gleich in seinem ersten Satz die kleine eingeweihte Versammlung vor dem Gedenksstein, die hauptsächlich aus JüdInnen bestand, mit einer Art akademischen Definition darüber zu informieren, was die Pogromnacht „bedeutete“, nämlich „der Schritt von der Diskriminierung zum Massenmord.“

Auch beließ es Klink nicht dabei, den noch immer vorhandenen „Antisemitismus“ anzusprechen. Nein, er mußte auch über den „Antizionismus“ dozieren, und über die beiden Arten von Antizionisten, die er ausgemacht hatte: Die einen, die noch immer den israelischen Staat zerschlagen und die jüdischen Israelis ins Meer treiben wollten. Und die anderen, die den Staat Israel und seine Politik kritisierten, obwohl diese Politik doch nur einem einzigen Ziele diene, einen neuen Holocaust zu verhindern. Anschließend fand Klink auch noch ein nebulöses Wort für „die Palästinenser“, deren „Identität“ müsse im Friedensprozeß gewahrt bleiben.

Nach so vielem und so verschlungenem Gerede war es an dem Rabbiner Dr. Benjamin Barslai, der Toten zu gedenken. Er trug einen israelitisch gebeteten Pslam vor - ernsthaft, schlicht und anrührend. Dieses israelitische Beten mahnte christlich-atheistische Zuhörerinnen nicht nur an die Toten. Es machte den Nachgeborenen auch schmerzlich bewußt, daß ihnen mit dem massenhaften Tod der JüdInnen nicht nur die alltägliche Begegnung mit jüdischen Spielkameradinnen oder Nachbarinnen vorenthalten blieb, sondern auch die Begegnung mit der reichen jüdischen Religiosität und Tradition.

Karla Müller-Tupath erinnerte zum Abschluß daran, daß dieser 50. Jahrestag der letzte mit runder Jahreszahl ist, „an dem wir noch Zeitzeugen befragen können“.

Barbara Debus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen