: Mittelstürmergewinn durch Schuldenkrise
Nachhilfe für den deutschen Fußball bei Hollands Topspiel Roda Kerkrade - PSV Eindhoven 0:1 ■ PRESS-SCHLAG
In gut vier Jahren sollen die Schlagbäume an den EG -Binnengrenzen weggeschafft werden. Fußballerisch gibt es bis dahin noch einiges zu harmonisieren, insbesondere für den bundesdeutschen Fußball zu lernen. Fährt man nämlich bei Aachen kurz über die Grenze ins Städtchen Kerkrade, ist man gleich in einem Stück anderer Ballwelt. So am Sonntag, als der Überraschungsdritte dieser Saison gegen den Meister und Europapokalsieger PSV Eindhoven mit seinen fünf Europameistern und vier sonstigen Nationalspielern antrat im Topspiel, einem zeitweise mitreißenden Klassekick.
Fußball im Nachbarland, leicht und locker. Von der Bundesliga-Krampfkraft noch betäubt, fällt vor allem der hohe technische Standard aller Rasenakteure, besonders der Defensivspieler, auf. Beeindruckend familiär die Pressekonferenz. Da versuchen sich nicht erhöht sitzende Trainer steif in nichtssagenden Arroganzwettbewerben, sondern da kommen die beiden Teamchefs zum Plauderstündchen und diskutieren mit den Journalisten in großer Runde munter drauflos. PSV-Coach Gus Hiddink hatte den dürstenden Schreibern eine Kanne Kaffee mitgebracht und verteilte Zigarettchen wie unter Kumpels.
Sein Meisterteam hatte viel Glück und alle Abwehrkünste des Könners Ronald Koeman gebraucht, um die vielen pfiffigen Angriffe der Gastgeber zu überstehen. Zahllose Chancen hatte Tormann van Breukelen mit elektrisierenden Superparaden zunichte gemacht und zwei krachende Volleyschüsse mit stechendem Blick an die Lattenunterkante gezaubert. Um so glücklicher war Hiddink, daß sich sein neuer brasilianischer Mittelstürmer Romario im entscheidenden Moment „in die freie Zone penetrieren“ konnte, wie er dem Reporter des 'Dagblatt Berlijn‘ mitteilte. Das war die 46.Minute gewesen, als er einen weiten Flanken-Einwurf des belgischen Oldtimers Gerets mit blitzschnellem Antritt ins Kerkrader Tor gespritzelt hatte.
Romario de Souza Farias (22) war Torschützenkönig im Olympiaturnier (sieben Tore in sechs Spielen) und danach in einem neuartigen wegweisenden Transfergeschäft von Vasco da Gama aus Rio zur Eindhovener „Philips Sportvereinigung“ gewechselt. Die Elektrobosse hatten sich die Schuldenkrise zunutze gemacht und bei der brasilianischen Zentralbank Schuldscheine zum Nominalwert von 3,7 Millionen US-Dollar gekauft. Die „Nederlandse Mittelstands Bank“ (NMB) fungierte dabei als Niederländische Mittelstürmer Bank und zahlte Romarios Verkäufer-Club Vasco den Betrag in Cruzados aus.
Der schöne Trick nun für den PSV: Weil Brasilien uneinbringliche Milliardenschulden auch im kleinen Holland hat, gab es real für den Käufer einen Abschlag von rund einem Viertel der an den Rio-Verein gezahlten Ablösesumme, und so wurden dem PSV-Konto nur 2,8 Millionen schlechtgeschrieben. Somit profitiert die reiche Erste Welt nun auch im Fußball vom knechtenden Weltwirtschaftssystem und begleicht dubiose Staatsschulden nicht nur mit dem verbilligten Verkauf von containerweise Röstkaffee oder einer Regenwaldparzelle zum Niederroden, sondern mit dem Exportartikel Mensch, sozusagen mit postkolonialistischer Verkehrtversklavung.
Der moderne Leibeigene selbst, ein klassisch krummbeiniger Kraftknubbel, paßte sich mit seinem ersten Philips-Tor glänzend ein. So wie das PSV-Team mit Routine, Cleverneß und einem durchaus eleganten Kurzpaßspiel an das regelmäßige Glück der Münchner Bayern der siebziger Jahre erinnert, so sieht auch Trainer Hiddink im neuen Stürmer „einen Gerd Müller wie früher bei Euch“. Scheinbar bewegungslahm lief das Spiel oft an ihm vorbei, doch immer wieder in Strafraumnähe schien er zu explodieren, und schon nach zwei Spielen hat der Dunkelhäutige in Holland den Spitznamen „Puma“ weg, wegen seiner fliegenden Starts aus dem Stand heraus. „Ganz schlau und ganz gefährlich“ nennt ihn sein Trainer. Drei Tore hätten es schon am Sonntag sein können, doch auch mit seinem goldenen Schuß hatte Romario de Souza als lebendiger Schuldentilger mit immerhin 0,001 Promille der brasilianischen Verbindlichkeiten einen vielversprechenden Einstand.
Bernd Müllender
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen