: Schautafeln des Westens
■ “...als wäre es nie gewesen“ / Eine ungewöhnliche Ausstellung in Berlin / Mit 32 Stelltafeln macht die Berliner Geschichtswerkstatt am Kurfürstendamm auf damaliges jüdisches Leben aufmerksam
Eine Lücke im Adreßbuch Tafel Nr.21 steht auf dem Bürgersteig Kurfürstendamm 175/176. Sie ist Teil der Ausstellung der Berliner Geschichtswerkstatt, die aus 32 Stelltafeln auf dem Kurfürstendamm besteht und verschiedene alltägliche Aspekte jüdischen Lebens dokumentiert. In den vier Rubriken, in die auch jede der übrigen Tafeln unterteilt ist, wird erstens großgedruckt der Sachverhalt beschrieben, daß dort der Verlagsbuchhändler Alexander Ehrlich wohnte, Inhaber des gleichnamigen Fachzeitschriftenverlages. Noch 1935 wurde dieser Verlag im Adreßbuch für den Berliner Buchhandel aufgeführt, im Jahre 1936 nicht mehr. Dieser Vorgang wird in der zweiten Abteilung der Stelltafel auszugsweise dokumentiert.
Im dritten Teil allerdings steht kleingedruckt die Erklärung, für die sich die interessierte Öffentlichkeit bücken muß, und möglicherweise in die Knie gehen, wenn ein Artikel Der nationalsozialistische Buchhändler aus eben diesem Adreßbuch 1936 zitiert wird, den Gustav Langenscheidt,stellvertretender Vorsteher des Wirtschaftsverbandes der Berliner Buchhändler, Gauobmann des Gaues Berlin der Gruppe Buchhandel in der Reichsschrifttumskammer unterschrieben hat. Darin heißt es unter anderem neben den „üblichen“ antisemitischen Äußerungen:
“...Durch die Einrichtung der Reichsschrifttumskammer und die Eingliederung des Buchhandels in deren ständischen Organisation ist Vorsorge getroffen, daß der totale Gedanke des Nationalsozialismus das buchhändlerische Gewerbe beherrscht. Wer sich dem nicht gefügt hat, ist ausgemerzt worden. Ein nationalsozialistisches Handeln, das nur Ausdruck eines gesetzlichen Zwanges ist, ist wertlos... Es wird aufgepaßt. Wer ausbricht, wer in alte Fehler verfällt, hat Schonung nicht zu erwarten... Aber - und das ist neu und ist noch von keiner Staatsführung der Welt getan worden die Unterstützung des Gedankens des deutschen Buches, die aktive Werbung für das deutsche Buch in den Buchwochen und Fachbuchwerbungen schaffen dem deutschen Buchhandel ein Rückgrat, das er in liberalistischen Zeiten nie gehabt hat und nie haben konnte... Der Nationalsozialismus ist total muß auch das Eintreten des deutschen Schrifttums für ihn sein.
Das Ziel des deutschen Buchhandels ist deutsche Art und deutsches Wesen, sein Gegenstand das deutsche Volk und sein Vorbild der Führer aller Deutschen: Adolf Hitler.“
Wenn die Ausstellungsmacher ihr Vorwort titeln mit Anstiften zum Entdecken, dann müßte es nun logisch sein, zu fragen, wie viele Bücher aus dem Langenscheidt-Verlag habe ich zu Hause stehen? Müßte es nicht auch konsequent sein, wenn man jetzt als Schüler die harmlosen Langenscheidt -Lexika boykottieren würde, und die sogenannten engagierten Lehrer ihren Schülern Zusammenhänge begreiflich machen und etwas erzählen über die Schizophrenie im Alltag? Müßte man sich nicht einmal Gedanken machen über die Vielzahl von Buchverlagen, die eigentlich keinen Grund hätten, ihre hundertjährigen Jubiläen ungebrochen zu feiern, als ob es nie gewesen wäre?
Qpferdach
Eine Broschüre zu allen 32 Stelltafeln wäre zu beziehen über „Die Berliner Geschichtswerkstatt e.V.“, Goltzstr. 49, 1-30, Tel.: 215 44 50, wenn der Berliner Kultursenator sich bereitgefunden hätte, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen.
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