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Gedenkfeier zwischen allen Stühlen

■ Heftige Konflikte im Vorfeld der heutigen zentralen Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht Die Mehrheit der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt lehnt vor allem den Auftritt Bundeskanzler Kohls ab

Wenn heute um elf Uhr die Gedenkstunde des Zentralrats der Juden in Deutschland in der Frankfurter Westend Synagoge beginnt, ist die Chance, den Opfern der Pogrome in der Nacht vom 9. auf den 10.November 1938 tatsächlich zu gedenken, längst vertan. Nichtjuden und Juden, politische Parteien und Gewerkschaften, Linke und Konservative streiten sich um Form und Inhalt rechten Gedenkens, der Auftritt Kohls stellt nur die Spitze des Eisberges dar. Seit Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ wegen antisemitischer Anspielungen verhindert wurde, wird in Frankfurt über den Umgang mit der eigenen Vergangenheit debattiert. Die Entdeckung von Resten des ehemaligen jüdischen Ghettos am Börneplatz und die planerische Ignoranz der Stadt bot weiteres Anschauungsmaterial.

In dunklen Spiegelwänden vervielfachen sich Kerzen und wie dort, in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem, die Namen der eineinhalb Millionen ermordeten Kinder, sollen hier die Namen der verjagten, der in den Selbstmord getriebenen, der ermordeten Juden aus Frankfurt verlesen werden. Geschehen soll dies in einem Bunker an der Friedberger Anlage in der Innenstadt.

Der Bunker entstand 1940 auf den Trümmern der am 10.November 1938 ausgebrannten und dann abgerissenen Synagoge. Die Steine wurden in den Mauern des Hauptfriedhofs verbaut. Der Wunsch, im Bunkerinneren eine Gedenkstätte nach dem Vorbild des israelischen „Children Memorial“ in Yad Vashem zu errichten, kommt aus der Frankfurter „Initiative 9.November“ und wird auch in den eigenen Reihen skeptisch gesehen. Von einigen ist er schlicht als „Kitsch“ und „Disneyland“ bezeichnet worden. Die Initiative berichtet, sie habe sich auch mit dem „moralischen Vorwurf“ auseinandergesetzt, „eine solche Entlehnung jüdischen Gedenkens und Trauerns“ sei „Mißbrauch“ in einem Land, das selbst zur Trauer unfähig sei. Die Initiative bemerkt lapidar und knapp: „Hierzulande haben wir keine Form, keinen Ausdruck der Trauer gefunden, weil es sie wenig gab.“

In den letzten Wochen und Monaten vor dem 50.Jahrestag der Reichspogromnacht allerdings scheint in der Stadt, die sich um die Zentralveranstaltung der Jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik riß, als ginge es um die Vergabe der Olympischen Spiele (Andrew Steinmann im 'Spiegel‘ vom 31.Oktober 1988), ein Wahn ausgebrochen zu sein.

Nichtjuden und Juden, Parteien und Verbände, Christen, Gewerkschaften, Stadtteilgruppen und PolitikerInnen streiten darum, wer wohl auf den Tag genau am 9.November 1988 am besten, am weitesten, am intensivsten gedenkt, trauert, Faschismus verhindert, wer zu welcher Veranstaltung, zu welchem Vortrag, zu welcher Feierstunde, Demonstration, Kundgebung, zu welchem Filmvortrag..., wer wann kommen, reden usw., usf. darf oder muß.

Der Bruch geht quer durch die Parteien, die Jüdische Gemeinde, die Linke, die Konservativen, die Wohngemeinschaftsküchen und Verbände. Spitze des Eisbergs ist der Auftritt des Bundeskanzlers Helmut Kohl am heutigen 9.November zur Zentralveranstaltung in der Synagoge, der sich selbst einlud. Nichtjuden hätten bei einer jüdischen Trauerfeier nichts und Politiker schon gar nichts zu suchen, sagte eine knappe Mehrheit in der Gemeinde. Der Vorsitzende Ignaz Bubis fand das in bezug auf Kohl eigentlich auch, drohte aber den Widerspenstigen in seiner Gemeinde im Falle einer Ausladung Kohls gleichzeitig mit Rücktritt.

Im Stadtmagazin 'Pflasterstrand‘ machte er sich über Kohl, der zu allem Überfluß am gleichen Tag auch noch das neue Jüdische Museum einweihen wird, weidlich lustig. Den Besuch in Bitburg zum Beispiel habe er „diesem Kanzler“ nicht übel genommen: „Dasselbe Verhalten hätte ich einem anderen Bundeskanzler allerdings sehr übel genommen.“ Kohl komme außerdem schließlich nicht als „Helmut Kohl“, sondern als Bundeskanzler, der sich seine Frankfurter Rede aber besser „vom Bundespräsidenten schreiben lassen“ solle.

Er merkte verärgert an, daß auch jüdische Konservative für dessen Auftritt gestimmt hätten, obwohl sie privat äußerten, den Kanzler in der Synagoge so wenig sehen zu wollen, wie die Linksoppositionellen der „Jüdischen Gruppe“. Das seien „auch CDU-Mitglieder, die dem Bundesverdienstkreuz hinterherrennen“.

Womit sich de facto die Situation ergibt, daß Kohl am 9.November - ungebeten - in der Synagoge reden wird, Heinz Galinski eine Rede im Bundestag aber verwehrt ist. Galinski wiederum erklärte Anfang September anläßlich eines Besuches beim Kanzler, er bedauere die „unqualifizierte Kritik an der Teilnahme des Bundeskanzlers an der Gedenkveranstaltung“.

Währenddessen streiten sich auch die Linken, einschließlich der grünen RealpolitikerInnen und FundamentalistInnen und der „Jüdischen Gruppe“ um den rechten Umgang mit dem Gedenktag. Die vorher eher spärliche Debatte hatte, wenn auch kontrovers, so dennoch hoffnungsvoll, 1985 begonnen, als Proteste die Aufführung des Fassbinder-Stückes Der Müll, die Stadt und der Tod im Frankfurter Schauspielhaus verhinderten.

Eine neue, weiter gefächerte Allianz gab es, als beim Bau der neuen Stadtwerke Reste des jüdischen Gettos am Börneplatz gefunden wurden. Spontan fand sich eine Initiative zusammen, die die Bauarbeiten stoppen und eine Gedenkstätte errichten wollten. Antifaschisten, Kommunisten, SPD und Grüne, anfangs gar die CDU, konservative und linke Juden hielten den Platz zehn Tage lang besetzt, konnten aber nur erreichen, daß im Foyer des Neubaus Reste der Funde zu sehen sein werden, dort, meinte ein Leser der 'Frankfurter Rundschau‘ empört, wo die FrankfurterInnen demnächst „ihre Gasrechnungen“ bezahlen werden.

Mittlerweile hat die Stadt einen Börneplatz-Wettbewerb ausgeschrieben. KünstlerInnen machten sich an die Gestaltung des neben dem Stadtwerkeneubau verbliebenen Restfleckens. Abgesehen von einigen der angesprochenen Kulturschaffenden, die die Teilnahme an dem Wettbewerb schlicht verweigerten, reichten rund 250 Architekten und bildende Künstler ihre Arbeiten ein. Sie übten sich so vorwiegend in vordergründiger Symbolik, daß die Preis-Kommission von sich aus auf die Vergabe eines ersten Preises verzichtete, sie verteilte lediglich drei zweite Preise.

Das Bündnis zerbrach. Vor allem die Linksintellektuellen, die um die Ghetto-Fundamente gekämpft hatten, blieben weg, als sich die „Börneplatz-Initiative“ immer mehr zum Schauplatz grüner fundamentalistischer und realpolitischer Flügelkämpfe entwickelte. Streit gab es darum, ob die Politik Israels diskutiert werden darf, ob die Reise grüner Stadtverordneter dorthin zu verurteilen sei oder nicht, ob Geschichte en detail oder en gros aufgearbeitet werden müsse.

Ein Anlauf des 'Pflasterstrandes‘, die Diskussion mit der Initiative 9.November wiederzubeleben, gipfelte ebenfalls im Streit. Das Stadtmagazin hatte sich ein eher lahmes als spektakuläres Interview mit dem Ex-Nazi Roeder ins Haus geholt. Es hagelte Proteste, Linksfaschismus-Vorwürfe und Aufkündigungen der Mitarbeit in der Initiative. Die alte Börneplatz-Initiative wandte sich dem Kampf gegen die von der Stadt in Angriff genommene Renovierung des Bunkers an der Friedberger Anlage zu einer Zivilschutzanlage zu.

Sie forderte den Abriß des Bauwerks und die Errichtung einer Gedenkstätte auf dem leeren Platz. Davon, daß innen eine Gedenkstätte eingerichtet werde, wie es die Initiative 9.November gefordert hatte, wollte sie nichts wissen. Derweil beschäftigt sich die Stadt damit, das Bauwerk neu anzustreichen und zu begrünen. Von der offiziellen Einweihung eines Denkmals davor durch den Bundesverteidigungsminister am 9.November hat sie inzwischen abgesehen und statt dessen der Jüdischen Gemeinde angeboten, Räume im renovierten Zivilschutzbunker zu nutzen. Stadtrat Daum hatte außerdem vollmundig verkündet, die Gedenkstätte vor dem Bunker erhalte durch die Reaktivierung des Gebäudes einen „neuen, würdigen Rahmen“.

Unvergessen bei all den Gedenkfeiern bleibt der Redebeitrag, den Oberbürgermeister Wolfram Brück am 17.November 1987 im Konflikt um den Börneplatz beisteuerte: „Ich verstehe die Betroffenheit eines Juden, die zum Nichteinverständnis mit meiner Wertung führt. Das ist selbstverständlich. Er wertet aus dem Schicksal seines Volkes, seiner Religion, und ich werte aus dem Schicksal unseres Volkes und komme deshalb möglicherweise zu anderen Ergebnissen.“

Heide Platen

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