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ERKÄMPFTER CHARME

■ „Elsner“ in der Galerie Petersen

Wenn man derzeit im normalen Lauftempo die Galerie Petersen passiert oder nur oberflächlich durch die Schaufensterscheiben blickt, glaubt man wahrscheinlich, irgendwelchen afrikanischen, wohl hölzernen, baumstammartigen, kanuartigen Formen von ethnologischem Interesse erblickt zu haben. Riesigen Schachtelhalmen gleich bäumen sich da Hohlformen, mehr oder minder monumentale, mantelartige Gebilde, Totempfählen oder Naturformen ähnelnd, gruppierte Fragmente tropischen, urzeitlichen oder unbekannten Ursprungs.

Betritt man die Räume der Galerie und sieht sich die Objekte etwas genauer an, nimmt man erstaunt wahr, daß die aus Bronze sind. Genauer gesagt, bestehen sie aus einer Stahlblechkonstruktion, die mit einer Bronzeschicht überzogen wurde. Wie man dem Katalog entnehmen kann, wurden für die ästhetische Patinierung komplizierte, teilweise gefährliche Materialien verwendet, welche nach altertümlichen Verfahren, aber mit neuzeitlichen Sicherheitsvorkehrungen aufgetragen wurden: allerlei Säuren, aber auch Kobalt sikkativ, Schwefelleber, Hirschhornsalz, Schwefel. Gemischt, erhitzt und mit speziellen Werkzeugen auf die Bronzen massiert, sind den Metalloberflächen malerische Reize abgewonnen worden.

Die Werke sind von Stephan Elsner, Jahrgang 1955, Berliner, seit 1980 Meisterschüler von Kaufmann, seit 1982 bekannt durch seine Arbeitsreihe „Grenzverletzung“, seit 1983 Experimente mit Körperschnitten und Selbstverletzungen, seit 1987 Bronzeskulpturen. Also wandelte sich der gesellschaftliche Anspruch Elsners, der gesellschaftliche Interessensphären und ihre ästhetischen Symbole in Frage stellte, vom Extrovertierten ins Introvertierte, also in die Problematisierung der eigenen Körperlichkeit (im Katalog mit seelischen Stärkungsritualen von Indianerstämmen aus Nord -Dakota verglichen), allerdings unter kontrollierbaren Bedingungen und sinnfunktionalen Begrenzungen flagellativer oder violativer Aussagekraft.

Der logische Schritt von Körperkunst in Richtung vegetationssimulativer Bronzeplastik mutet in der Katalogbebilderung etwas willkürlich an, denn Elsner turnt da in der Manier eines Turmspringers oder einer Wasserbalettöse nackt auf kargem Fußboden mit auffällig gut frisierten Haaren (unwillkürliche Erinnerung an den Frisiertheitsgrad der Frau mit dem hübschen Po vor der HdK in dem Plastikensemble am Steinplatz), so daß schon eine gedankliche Arbeit notwendig ist, um die Abstraktion nachvollziehen zu können, welcher Katharsisschmerz sowie Läuterung, Umsetzung und Monumentalisierung durchs Werk versprechen.

Daß dies dann aber doch glaubwürdig in der Werkentwicklung oder ihrer Psychosynthese erscheint, erkennt man bei genauerem Studium des Katalogs und mit etwas Vorstellungskraft. Dort hantiert Elsner in einer Art Daniel Düsentrieb-Werkstatt für Junggesellenmaschinen mit modernsten Hilfsmitteln wie Handleistungsschweißgeräten, Plastikschneidemaschinen usw., um dennoch auch nur unter Aufbietung körperlicher Leistungsgrenzen dem Widerstand des Materials, als vier bis sechs Meter hohe Edelmetallskulpturen, jenen Charme abzugewinnen, der erst dem Widerspruch zwischen Materie und Form, Verarbeitungstechnik und Erwartungsreiz künstlerisch optimiert.

Elsner arbeitet in Schüben, nutzt Phasen der Aktion bis zur restlosen körperlichen Erschöpfung, reflektiert dann Ruhephasen und appliziert den bronzenen Rohformen mitgestalterisch stehengelassenen Schweißnähten und herausgearbeiteter Oberflächenpatina jene visuellen Pointen, die den Grundvariationen der geraden oder gebogenen Segmente gesteigerten Reiz verleihen.

Lyrische, fast romantische Titel verleihen dem Ganzen vielleicht sogar etwas typisch deutschen Ethos der Arbeitsmühe, der quasi auch ökologisch emanzipierten Evidenz der Themenbeschränkung (Entwicklung: Gesellschaft - Mensch Natur), aber auch einen Anklang von sensibler Moral: „In der Mitte der Zeit“, „Bis unter den Kreidebogen“, „An blinden Hecken allein vorbei“, „Unter Wintersonnen in aufgerissenen Gräbern“, „Immer herrscht er allein“, „Nie gesehene Meere“, „Die Seide, die sich daran reibt“, „Göttersöhne“, „Armenion“.

Wie wunderbar passend Elsners Werke in den neuen Räumen der Galerie Petersen in der Goethestraße allerdings auch aufgestellt und plaziert sein mögen: Wie wünschenswert wäre es doch, wenn auch mal ein für die Verschönerung öffentlicher Parks verantwortlicher Kulturbonze den Weg in die, für Avantgarde-Kunst bekannten Galerieräume finden würde. Auch wenn er nicht alles verstehen sollte oder nachvollziehen kann, könnte es doch für die Stadt (Scheiß -Pädagogik) von einigem Nutzen sein. Denn Elsners neue Werke haben eine höhere ästhetische Vernunft und mehr visuelle Attraktivität als fast alles, was derzeit an öffentlichen Kunstwerken in der Berliner Stadtlandschaft das Publikum ästhetisch bereichern soll.

Andreas Kaps

Öffnungszeiten der Galerie Petersen, Goethestr. 73: Di-Fr 14 -19 Uhr, Sa 11-14 Uhr.

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