: Höhere Töchter, wißbegierige Weiber
■ Vor achtzig Jahren wurden Frauen zum Hochschulstudium zugelassen / Schreckensvision der Herren: der bebrillte Blaustrumpf mit Schmiß / Die Vision der bürgerlichen Frauenvereine: die zu stilvollen Plaudereien und niveauvoller Repräsentanz fähige Gattin
Birgit Schönberger
Der schrecklichste aller Schrecken ist die Wissenschaftlichkeit der Weiber“, schrieb Adolf Lasson, Professor der Philosophie1, 1897. Wie vielen seiner männlichen Zeitgenossen muß ihm die Furcht vor den Weibern in den Hörsälen oder (noch schlimmer) am Dozentenpult tief in den Gliedern gesessen haben. Bei der Vorstellung, Weiber in den Hörerreihen zu sehen, „verbogen sich einige vor Lachen“. (So Helene Lange, eine der bedeutendsten Repräsentantinnen des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung und langjährige Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins2). Die belustigte Ignoranz, das süffisante Grinsen der Männer bei der Vision farbentragender „Blaustrümpfe“ mit Schmiß auf der Backe schlug jedoch häufig um in entrüsteten Protest gegen die Forderung der bürgerlichen Frauenbewegung nach Zugang zu den Universitäten. Dabei wurden sowohl das vielzitierte höhere Gewicht des männlichen Gehirns als auch der „gute Geschmack“ als Argumente bemüht. Bis 1908 schafften es die reaktionären Kräfte des Kaiserreiches, allen voran die preußischen Hochschullehrer, das Eindringen der Weiber in den männlichen Wissenschaftstempel zu verhindern. Sie entwarfen das Schreckensbild der akademischen Frau, die als 'Mannweib‘ Heim und Herd verkommen läßt, und anstatt die Ihren in einem warmem Nest in Sicherheit zu wiegen, nun selbst nur hektische Betriebsamkeit verbreitet, und statt Harmonie zu schaffen nur Konkurrenz entfacht.
Mit ihrer Forderung nach einer gleichberechtigten akademischen Ausbildung brachen die Frauen mit der Auffassung, daß das weibliche Geschlecht nichts zu wissen brauche und mit seiner Bildung keinesfalls auf der Höhe der Zeit zu sein habe. Allzu große Intelligenz - so fürchtete mann - werde die Frauen davon abhalten, ihrer natürlichen Wesensbestimmung gemäß zu leben, was bedeutete „deutsche Frömmigkeit zu pflegen und zu hüten, Ordnung und Schönheit, Freude und Behagen um sich herum zu verbreiten und zu dienen in hingebender Liebe, Treue und Geduld“, wie es Karl Julius Krumbach in seiner Geschichte und Kritik der deutschen Schullesebücher formuliert3. Damit entpuppten sich die 'wißbegierigen Weiber‘ als „Gefahr für das gesamte Volkswohl„4.
Bereits Mitte des 18.Jahrhunderts gelang es vier (!) Frauen, zu akademischen Würden zu gelangen, über Privatunterricht, versteht sich, teilweise motiviert durch das Beispiel von Frauen in anderen europäischen Ländern. In Italien gab es bereits mehrere Frauen, die einen Lehrstuhl innehatten, und selbst in der Schweiz konnten Frauen studieren. Das wilhelminische Kaiserreich erwies sich auch in dieser Frage als Bollwerk der Reaktion. Christiane Mariane von Ziegler wurde 1733 von der Universität Wittenberg zur Dichterin gekrönt, und Anna Maria Balthasar bekam 1750 von der Universität Greifswald die Ehrendoktorwürde verliehen. „Als Wunder des Jahrhunderts angestaunt“ wurde Dorothea Christiane von Erxleben, die als erste Frau in Deutschland 1754 von der Universität Halle den Doktor der Medizin verliehen bekam. Sie überraschte ihre männlichen Prüfer mit einem perfekten Latein, das sie - wie mann ihr wohl oder übel zugestehen mußte - so gut wie eine Römerin ihre Muttersprache beherrschte. Sie galt aber eben als Wunder und bot keineswegs Anlaß, die Theorie vom „physiologischen Schwachsinn des Weibes“ (Möbius) zu relativieren.
Mitte des 19.Jahrhunderts nahm die bürgerliche Frauenbewegung, die sich 1865 zum Teil im „Allgemeinen Deutschen Frauenverein“ (ADV) organisiert hatte, den Kampf um das Frauenstudium mit Öffentlichkeitsarbeit und Petitionen an sämtlichen Unterrichtsministerien wieder auf. Ebenso der „Frauenverein-Reform“ und der „Frauenbildungsverein“. Letzterer beschrieb als seine vornehmste Aufgabe „die Erweiterung des weiblichen Gesichtskreises, Erhebung und Anregung für stille Arbeitsstunden, Erweckung und Stärkung zu freudiger Berufstätigkeit“. Ein Programm, das weniger eine radikale Herausforderung männlicher Privilegien vermuten läßt, als vielmehr ein Interesse an standesgemäßer Bildung für seine 'bessere Hälfte‘. Standesgemäße Bildung nicht zuletzt zur angemesseneren Erfüllung der weiblichen Repräsentationspflichten im bürgerlichen Haushalt. Es waren die Frauen der Ober- und Mittelschicht, die sich das Recht auf eine akademische Berufsausbildung erkämpfen wollten. Die Forderung „Höhere Bildung für Höhere Töchter“ war einerseits noch stark an den Repräsentations- und Konversationsmustern des Adels orientiert, andererseits hatte der steigende 'Wissensdurst‘ seine Gründe auch in der veränderten wirtschaftlichen Struktur der bürgerlichen Familie. Das durch die selbstauferlegten Repräsentationspflichten entstandene Luxusbedürfnis konnte nicht mehr alleine vom Familienvorstand befriedigt werden. Clara Zetkin, Führerin der proletarischen Frauenbewegung, analysierte nicht ohne Ironie eine „wachsende Unfähigkeit der bürgerlichen Familien, ihren weiblichen Angehörigen einen standesgemäßen Lebensunterhalt und befriedigenden Lebensinhalt zu sichern“.5
Als Interesse höherer Töchter an akademischer Bildung konnte die Frage des Frauenstudiums durchaus salonfähig gemacht werden. Die Vorstellung einer gebildeten Frau, die zu angenehmen, stil- und niveauvollen Plaudereien fähig wäre, fand auch in männlichen Kreisen Zustimmung. So schrieb die 'Frankfurter Zeitung‘ anläßlich einer 1895 einberufenen Generalversammlung des ADF: „Der Gedanke der Emanzipation verliert seine abstoßenden Seiten, wenn man wahrnimmt, wie die echt weiblichen Eigenschaften der Weichherzigkeit, des Fein- und Mitgefühls durch ihn keinerlei Abbruch erleiden.“ Die Gefahr des endgültigen Untergangs des Ewig-Weiblichen schien abwendbar, das Schreckensbild des akademischen Blaustrumpfs verlor etwas an Schärfe.
In der 2.Reichstagsdebatte über das Frauenstudium, - die erste im Jahr 1891 war ohne nennenswerte Ergebnisse verlaufen, - zeigten sich die Herren Parlamentarier väterlich besorgt ob der massiven intellektuellen Anforderungen, die da auf die zartbesaiteten jungen Mädchen zukommen sollten. Man forderte vereinfachte Studienbestimmungen, wie sie dem weiblichen Wesen angemessen seien. Um die immer noch offene Frage zu klären, ob das weibliche Geschlecht mit den an der Hochschule geforderten intellektuellen Kapazitäten nicht von Natur aus restlos überfordert sei, gab der Universitätsprofessor Artur Kirchhoff 1897 eine Sammlung von „Gutachten hervorragender Universitätsprofessoren, Frauenlehrer und Schriftsteller über die Befähigung der Frau zu wissenschaftlichem Studium und Berufe“ heraus. Die Creme de la Creme ließ sich zu gewichtigen Urteilen herab und brachte neben einigen beleidigenden Urteilen über die Weiber in der Wissenschaft vorwiegend männliche Selbstkritik an der verbissenen und doch durch nichts zu rechtfertigenden Verteidigung der Wissenschaft als männliche Domäne zum Ausdruck. Die Theorie vom Gehirngewicht und andere biologistische Rechtfertigungsversuche weiblicher Unterlegenheit wurden damit relativiert. Gönnerhaft kündigte der Reichstag in seiner Sitzung vom 21.Januar 1898 an, daß es nicht ausgeschlossen sei, daß in Zukunft noch weitere Wünsche erfüllt würden. Welch Großmut! Es wurde sogar in Erwägung gezogen, Frauen zur Approbation zuzulassen - vorausgesetzt natürlich, daß sie die großzügigerweise in ihre intellektuellen Fähigkeiten gesetzten Hoffnungen nicht enttäuschten.
Baden gewährte den Frauen als erstes Land am 28.Februar 1900 die Immatrikulation. Weitere Universitäten wie Gießen und Rostock folgten. An den übrigen Universitäten war es Frauen gestattet, an Vorlesungen und Übungen teilzunehmen. Mit einer kleinen Einschränkung allerdings: der betreffende Herr Dozent sollte keinesfalls wider seinen Willen den Anblick einer Frau in seiner Vorlesung ertragen müssen. In Preußen wurden Frauen nur dann zugelassen, wenn die betreffenden Lehrer übereinstimmend der Meinung waren, daß in besonderen Fällen aus der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht keine schwerwiegenden Bedenken abzuleiten seien. 1908 war es dann auch in Preußen so weit. Frauen im Besitz eines Reifezeugnisses konnten sich ohne Einschränkungen immatrikulieren. Damit war die Zulassung von Frauen zu den Universitäten im gesamten Deutschen Reich durchgesetzt.
Dieser Erfolg der bürgerlichen Frauenbewegung sollte sich jedoch bald als rein formale Gleichberechtigung erweisen, denn die Zulassung zur Hochschule bedeutete keinesfalls gleichzeitig das Recht, die entsprechenden akademischen Berufe auszuüben. Die Zulassung von Frauen zu akademischen Berufen wurde zwar in Artikel 109 der Weimarer Verfassung gesetzlich verankert, aber Papier ist bekanntlich geduldig. In den ersten 20 Jahren nach der Zulassung von Frauen zu den Hochschulen wurden Frauen entweder gar nicht oder nur sehr begrenzt zu ihren Berufen zugelassen. Juristinnen beispielsweise hatten bis 1922 keine Möglichkeit, ihren Beruf auszuüben. Bis 1925 gab es unter 14.000 Juristen lediglich 54 Rechtsanwältinnen. Diese Benachteiligung ist nach einer Untersuchung von M.Kater über das Frauenstudium in der Weimarer Republik nicht nur auf die diskriminierende Einstellungspolitik des republikanischen Beamtenstaates zurückzuführen, sondern auch darauf, daß viele Frauen selbst die herrschenden Weiblichkeitsstereotypen verinnerlicht hatten und die für die Juristerei typischen normativen Denkprozesse als „wenig phantasiebeflügelnd„6 und damit als „unweiblich“ ansahen. Von der restriktiven Einstellungspolitik betroffen waren auch die Medizinerinnen und die Anwärterinnen für das Lehramt an höheren Schulen. Letztere hatten nur Chancen auf eine Anstellung, wenn sie sich durch besondere wissenschaftliche oder pädagogische Fähigkeiten hervortun konnten.
Zehn Jahre mußten noch vergehen, bis Frauen 1918 auch offiziell als Dozentinnen zugelassen wurden. Es gab jedoch vereinzelte Versuche von Frauen, Habilitationen zu erkämpfen. Die Romanistin Elise Richter unternahm 1903 bereits den kühnen Versuch, einen Lehrauftrag zu erhalten. Die Reaktion auf ihr ungeheuerliches Unterfangen beschrieb sie so: „Der Dekan, der jeder Dame verbindlichst die Hand küßte, geriet außer Fassung. Ob mir denn nicht klar sei, wie grundsätzlich unmöglich es sei, daß Männer sich von einer Frau unterrichten lassen?„7 Der Herr Dekan muß entsetzt gewesen sein angesichts der grauenvollen Visionen, die sich da vor seinen Augen eröffneten: Wenn Sie Dozent ist, wird sie Professor werden wollen und dann Dekan und dann Rektor...Entsetzlich! An dieser Stelle sei ein kleines Gedankenexperiment gestattet, das Marlies Gummert8 sich ausdachte: Das bleiche Gesicht des Dekans ist durchaus verständlich. Gehen wir einmal davon aus, daß Frauen, um an der Universität auch nur die kleinste Aufstiegschance zu haben, sich doppelt so gut qualifizieren müssen wie ihre männlichen Kollegen, und gehen wir davon aus, daß es genügend solcher gut qualifizierten Frauen gibt, was dann? Die Folgen der Chancengleichheit wären absolut katastrophal. Durch den Zustrom hochqualifizierter Frauen an die Universitäten wäre bald ein wissenschaftliches Niveau erreicht, das den männlichen Professoren-Nachwuchs völlig außer Konkurrenz bringen würde. Verständlich, daß die ersten Studentinnen, die an die Universität kamen, als „bebrillte, unmodisch gekleidete und spröde Intelligenzbestien mit flachen Absätzen„9 beschimpft werden mußten. Ein unverzeihlicher Verstoß gegen den „guten Geschmack“. Der Männer, versteht sich.
Anmerkungen:
1 Lasson, Adolf, zitiert nach: Lange, Helene, Die akademische Frau, in: Die Frau. Gesamtverzeichnis der Aufsätze, hrsg. von E.Boedecker, Berlin 1987, S.195
2 Lange, Helene, Lebenserinnerungen, Berlin 1925, S.205
3 Krumbach, Karl Julius, Geschichte und Kritik der deutschen Schullesebücher, 2.Teil, Leipzig 1896, S.65
4 Kater, M., Krisis des Frauenstudiums in der Weimarer Republik, in: Vierteljahreszeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd.59, Wiesbaden 1972, S.217
5 Zetkin, Clara, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, Frankfurt 1971, S.45 f.
6 Kater, M., a.a.O. S.215
7 von Bayer, W., Die Frau in der Wissenschaft, in: Die Frau in unserer Zeit, Hamburg 1954, S.216
8 Gummert, Marlies, Rede einer selbstbewußten Professorenfrau, in: Pusch, Luise F., Feminismus. Inspektion der Herrenkultur, Frankfurt a.M. 1983, S.377 ff.
9 Kater, M., a.a.O., S.220
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