: Derwisch von Diyarbakir
■ Schilderung einer mystischen Derwischsitzung im Südosten der Türkei
Daniel Schwarz DERWISCH VON DIYARBAKIR
Schilderung einer mystischen Derwischsitzung im Südosten der Türkei
„Wer die Kraft des Reigens kennt, wohnt in Gott.“ Dschelaleddin Rumi, Mystiker des Isla
Daniel Schwarz DERWISCH VON DIYARBAKIR
Schilderung einer mystischen Derwischsitzung im Südosten der Türkei
„Wer die Kraft des Reigens kennt,
wohnt in Gott.“ Dschelaleddin Rumi, Mystiker des Isla
Plötzlich glaube ich deutlich zu spüren, daß ich beobachtet werde, drehe mich schnell herum und sehe einen bartlosen Türken im Straßenanzug, den ich am Morgen schon in der Hotelrezeption gesehen hatte. In Diyarbakir gibt es beinahe ebensoviele Spitzel wie Einwohner, fast jeder Tourist hat seinen „persönlichen“ Beobachter und muß zumindest von dem Hotel an die nächste Polizeistation gemeldet werden. Die Stadt gilt als ein Zentrum des politischen und kurdischen Widerstands, ja es ist in den letzten Jahren auch eines der größten Zentren der Fundamentalisten und sogar Mystiker in der Türkei geworden. Die Militärs und Polizisten sind aus dem Straßenbild kaum wegzudenken. Zeitweilig wird die ganze Region im Südosten der Türkei für Ausländer und Touristen gesperrt, und nicht umsonst liegt hier in der Nähe das berüchtigte „cezahane nummera besch“ - das Gefängnis Nummer 5 - ein Begriff für jeden Menschenrechtler in der Türkei.
Diyarbakir ist aber auch eine der traditionellsten und schönsten Städte des Südostens, bunt gefärbt von Menschen in unzähligen verschiedenen Trachten, einer Vielzahl verschiedener Kopfbedeckungen aus Tüchern und vor allem von flatternden „schalwa“ - Hosen. „Schalwa“ - das sind jene weit ausgeschnittenen Pumphosen, in die einer nicht ganz ernstzunehmenden Anekdote zufolge einmal der letzte Iman plumpsen wird, wenn er - aus Gleichberechtigungsgründen diesmal von einem Mann geboren werden soll. Der junge Iman soll weich fallen.
Bei meinen Erkundungen durch die engen Gassenlabyrinthe der Altstadt von Diyarbakir kamen mir plötzlich zwei junge vollbärtige Moslems entgegen, der rechte mit einer grünen, der linke mit einer weißen Kopfbedeckung. Diese Kopfbedeckungen zeichneten sie aus: der eine war schon nach Mekka gepilgert, der andere konnte bereits mit sieben Jahren den ganzen Koran auswendig aufsagen. Ich sah sie auf mich zukommen mit dem sicheren Gefühl, daß sie mich ansprechen würden.
„Effendim - bir daka!“ - einen Moment, mein Herr. Sie strahlten mich beide an, wechselten ein paar Worte untereinander, zeigten auf meine Bauchbinde und erkundigten sich nach meinem Namen. Dann zerrten sie mich auch schon mit sich und sagten, sie wollten mich zu ihrem Meister bringen, um zusammen Tee zu trinken.
Jetzt begriff ich auf einmal, daß ich genau die gleiche Kleidung wie die jungen Moslems trug und sie mich für einen der Ihren hielten. Ich trug offensichtlich ihre „Erkennungsuniform“ und war gespannt, wo sie mich hinbringen würden.
Wir liefen durch halb Diyarbakir, vorbei an der „Ulu Cami“, der großen Moschee, quer durch die überfüllten, lärmenden Gassen des Bazars, bis wir schließlich in das winzige Geschäft eines Scheren- und Messerschleifers gelangten, und hier, in einer dunklen Ecke, saß ihr Meister und Lehrer, der Derwisch.
Derwische gibt es praktisch so lange, wie es den Islam gibt. Sie gelten als Neuerer, Denker, manchmal Ketzer, vor allem aber als Mystiker des Islam. Mystiker, das sind jene Religiösen, die eine Handlungsanweisung vorgeben oder kennen, wie man auf der Basis einer Religion durch bestimmte Übungen schon im irdischen Dasein mit jenseitigen Sphären Verbindung aufnehmen kann - also auch in Gottesnähe gelangt. Die größten Derwische hatten nicht unbedeutenden Einfluß auf Politik und Geschichte, andere haben unvergleichlich schöne literarische Schöpfungen hervorgebracht.
Die Wege zu Gott sind die Religionen, das Erleben von Gott lehrt der Mystiker. Diese Übungen zu diesem Erleben von Gott nennt man im Islam „dikhr“, und ihre Formen sind zahlreich. Der bekannteste Derwisch und Ordensgründer ist wohl Dschelaleddin Rumi, der sich in der mittelanatolischen Stadt Konya im 14.Jahrhundert niederließ. Als er eines Tages durch den Kupferbazar von Konya ging, inspirierte ihn das rhythmische Hämmern und Klopfen der Kupferschmiede zu schnellen, drehenden Bewegungen, und er drehte sich immer schneller, bis er in eine Art Ekstase geriet. Daraus entwickelte sich die dikhr-Form der „Tanzenden Derwische“ des Mevlanaordens. Manche Derwische gelangen durch 10.000maliges monotones Wiederholen eines Gebetsspruches in jenseitige Welten, wieder anderen gelingt dies, ähnlich den indischen Yogis, durch meditative Atemübungen.
Nun stand ich also diesem Derwisch gegenüber. Einer der beiden Moslems war vorausgelaufen und hatte mich angekündigt. „Hosch geldiniz“, begrüßte mich der Derwisch und reichte mir seine Hand, damit ich sie küßte und gegen die Stirn führte, ein Zeichen besonderer Ehrerbietung gegenüber Geistlichen und alten, ehrwürdigen Menschen.
„Hosch bulduk“, erwiderte ich und bekam einen Hocker zugewiesen.
Der Derwisch hatte dunkle Augen, starke Brauen und einen tiefen herzlichen Blick. Er hatte natürlich einen Vollbart nach Art des Propheten und eine grüne, samtene Hodscha -Mütze, unter der er sehr langes, festes Haar verborgen hatte, wie ich noch später sehen sollte. Seine Lippen waren breit und voll, und er roch stark nach Rosenöl. Natürlich war auch er in eine „schalwa“ gekleidet und seine Füße steckten in den üblicherweise nach hinten runtergetretenen Lederschuhen.
Jemand brachte Tee, und der Derwisch zeigte mir seine winzige Scheren- und Messerschleiferei. Unser Gespräch begann mit den Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland, er ereiferte sich über die Vorzüge des Islam gegenüber westlichen Denkmodellen und endete mit der Einladung zu einem „dikhr“, das er am nächsten Abend abhalten wolle.
Es war dunkel geworden, die Muezzin hatten schon zum letzten Gebet aufgerufen, als ich am verabredeten Treffpunkt vor der großen Moschee eintraf, an der schon 30 Personen versammelt waren und warteten. Ich war gespannt, was passieren würde, denn eine so große Ansammlung von Menschen zu dieser Stunde war nicht unverdächtig, und sämtliche praktizierenden Derwischorden sind in der Türkei verboten. Die „dikhrs“ mußten an einem geheimen Ort stattfinden, meistens etwas außerhalb der Stadt, um nicht durch Schreie, Gesänge oder rhythmische Trommelgeräusche die Aufmerksamkeit der Ordungskräfte auf sich zu ziehen. Erst später sollte ich erfahren, daß solche Versammlungen in der Vergangenheit schon zweimal aufgeflogen waren, und mehrere meiner neuen Bekannten hatten damals für einige Zeit ins Gefängnis gemußt.
Nun wurden wir in fünf oder sechs Gruppen aufgeteilt, und jede Gruppe bekam ihren Führer, der den Weg zum heutigen Ziel kannte, und so gelangten wir zu einem Vorort am Standrand, wo es keine befestigten Wege gab, aber immerhin schon Strom. Wir traten in den Vorhof eines kleinen schäbigen Hauses, und eine alte Frau öffnete uns die Tür. Wir wurden in einen mittelgroßen Raum geführt, und es roch so, wie es in den Moscheen roch: nach Füßen und Religion. In der hinteren Ecke saß schon der Derwisch mit je einem Trommel- und Tambourinspieler an seiner Seite. Ich erkannte jetzt, daß dieser Derwisch zu dem von Atatürk 1921 verbotenen Mevlanaorden gehören mußte, denn er trug ein langes weißes Gewand, das bis zu den Knöcheln reichte und mich stark an die Gewänder der Derwische von Konya erinnerte.
Der Derwisch hatte seine grüne Kappe abgelegt, und seine prächtigen langen Haare reichten ihm bis zur Schulter. Allmählich füllte sich der Raum mit 40 Männern, die auf den Knien an den Wänden entlang saßen und somit ein großes Viereck bildeten. Noch brannte irgendwo eine Glühbirne, und die Teilnehmer des in wenigen Minuten beginnenden dikhrs nutzten die Gelegenheit, um sich religiöse Ratschläge geben zu lassen.
Als die letzten Teilnehmer eingetroffen waren, gab der Derwisch ein Zeichen und die beiden Musiker begannen, mit ihren Instrumenten einen dumpfen Rhythmus zu schlagen und zu trommeln, der jeden Einzelnen im Raum vibrierend durchdrang. Die Teilnehmer knieten jetzt alle mit gerade aufgerichtetem Oberkörper und stemmten sich dabei mit den Händen auf den Knien ab. Einige hatten die Augen geschlossen und begannen, leicht mit dem Oberkörper zu wippen und versuchten, diese Bewegung mit dem Rhythmus in Einklang zu bringen. Nach kurzer Zeit wippten alle 40 Männer im einheitlichen Takt zu den gleichmäßigen dumpfen Tönen und dem etwas helleren Rasseln der Tabourinen.
Ich beobachtete, wie sie jetzt alle im gleichen Atemrhythmus die Luft herauspreßten und wieder einsogen. Zuerst hörte es sich nur wie ein gleichmäßiges Stöhnen an. Dann verstand ich aber, daß diese Atemtechnik beim Ausstoßen der Luft den Klang von „Allahu“ hatte, und beim Einatmen von „akbar“. „Allahu-akbar, Allahu-akbar, Allahu-akbar“, stöhnte es vierzigfach durch den Raum. Die Intensität dieser ersten Übung hatte immer mehr zugenommen, die Männer wurden immer erregter, einige hüpften auf den Knien 30 Zentimeter über dem Boden und einer von ihnen ließ seinen Kopf so schnell kreisen, daß man befürchten mußte, daß er durch die Fliehkraft abfliegen würde.
Nach einer Stunde gab der Derwisch den Musikern abermals ein Zeichen und diese hörten auf zu spielen, was die meisten der Teilnehmer gar nicht bemerkten, und so erfüllte nur noch das rhythmische Stöhnen und Keuchen aller Anwesenden den Raum.
Allahu-akbar, Allahu-akbar, Allahu-akbar.
Dann bedeutete der Derwisch den Musikern mit einem Blick, daß sie nun mit melodischer Musik fortfahren sollten. Er selbst schloß die Augen, atmete tief ein und begann mit einem Gesang, in den die meisten einstimmten. Diese Stimmen waren hoch und hell, und trotzdem fühlten sie sich warm an. Nach drei oder vier Liedern waren sie nun kurz vor dem eigentlichen Höhepunkt des dikhrs angelangt, ihre Gesichter wirkten wie weggetreten. Die beiden Musiker wechselten nun abermals das Tempo und spielten einen langsamen, aber sehr dumpfen, tief eingehenden Rhythmus. Jetzt erhoben sich sieben oder acht Teilnehmer, und sie begannen sich mit ausgebreiteten Armen zu drehen.
Ich hatte davon gehört, wie die jungen Zöglinge der Derwische monatelang das Drehen auf einem Punkt lernen. Hierzu wird ein Nagel in den Boden geschlagen und die Schüler müssen sich so aufstellen, daß der Nagel zwischen dem großen und dem nebenstehenden Zeh hervorsteht. Meistens wird dazu der linke Fuß benutzt. Mit dem rechten Fuß stößt man sich immer wieder ab, wenn man sich zu drehen beginnt, und lernt somit das exakte Drehen auf einem Punkt und vor allem das Gleichgewichthalten.
Genau das beherrschten die Tänzer bis zur Vollendung. Mir war es schon immer ein Rätsel gewesen, wie ihnen diese Drehungen gelangen, ohne aus dem Gleichgewicht zu kommen oder ohne daß ihnen übel wurde. Jetzt würden diese Tänzer nach der 13. oder 14. Drehung rein gar nichts mehr von dieser gegenständlichen Welt spüren. Sie würden eine große Helligkeit, Wärme und Licht erleben und für kurze Zeit die Verschmelzung und das Erleben mit Gott oder den Seelen der Verstorbenen spüren.
Sie hatten wieder mit den Gesängen begonnen, zwischenzeitlich hatte jemand das Licht ausgeschaltet, und die Kraft der Gesänge verstärkte sich. Plötzlich klatschte der Derwisch in die Hände, die Instrumente verstummten, und er gab einen neuen, beruhigenden Rhythmus vor, ein sanftes melodisches „Homm, Homm, Homm - Hemm, Hemm, Hemm.“
Die Tänzer setzten sich wieder zu den anderen. Nun gab es noch eine ganze Anzahl von denen, die ihren tief im Körper sitzenden Atemrhythmus nicht unterbrechen konnten, und sie zuckten und atmeten in der gewohnten rhythmischen Weise immer weiter, schon als wir lange bei Tee und Melonen saßen und uns erfrischten. Die meisten Männer waren bis auf das Hemd naßgeschwitzt und die Luft im Raum war kaum noch als solche zu bezeichnen.
Ich betrachtete die Gesichter der Männer und kam zu dem Schluß, daß es sicher auch eine ganze Reihe von der Sorte gab, denen ich nicht unbedingt eine tiefere Versenkung zutrauen würde. Vielleicht gab es auch simulierende Eiferer unter ihnen, die einen Ersatz für die Freiheiten suchten, die der Koran ihnen beschneidet.
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