Maskuline Nonchalance

■ Paolo Conte, homme a femmes, gab vor rasendem Publikum ein Konzert in der Glocke. Für sich alleine hat man ihn nicht. Es werden immer mehr

„Man möchte ihn eigentlich ganz für sich alleine haben“, schrieb die Rezensentin der „Süddeutschen Zeitung“ nach Paolo Contes Konzert in München. Und ich gebe ihr Recht, obwohl es natürlich unlogisch ist: Entweder sie oder ich.

Aber es gibt ja inzwischen so viele, die vermutlich dasselbe empfinden, und in der Glocke waren sie alle versammelt: Trampelnd, hingerissen applaudierend, nach Zugaben lechzend von diesem Mann, der mit einer inzwischen elfköpfigen Band - im letzten Jahr wurde er noch von fünf Musikern begleitet - sein Repertoire in ganz neuen Arrangements präsentierte.

Er scheint auf dem Weg zur

Verwirklichung seines Ziels zu sein, mit einer Bigband aufzutreten. Der Klang, den diese elf Musiker erzeugten, kam jedenfalls einem großen Orchester schon ziemlich nahe (obwohl die Verstärkeranlage leider ein bißchen häufig pfiff). Und doch ist es natürlich Paolo Conte, der im Mittelpunkt steht, an seinem Klavier sitzend und rauh seine Kompositionen ins Mikrofon hineinkeuchend, röchelnd, hervorpressend, flüsternd - mit umwerfender maskuliner Nonchalance, mit der salonfähigen Obszönität eines Kavaliers, der sich zu benehmen - und gleichzeitig erotische Verheißungen anzudeuten weiß.

Seine Musik hat einen Stil, den man den Conte-Stil nennen muß, obwohl sie aus bekannten Elementen und Rhythmen, vor allem des Jazz, besteht. Aber Conte benutzt diese Elemente nicht eklektizistisch, sondern nimmt sie als musikhistorisches Material und verwandelt sie in seinen Kompositionen zu seinem eigenen Stil, gewissermaßen als selbst- und historisch bewußte Referenz an eine Musik, die es heute fast nur noch auf kratzigen Platten gibt.

Wenn man, wie ich, seit zwei Jahren immer wieder in den Plattenspieler kriecht, um Paolo Contes Musik zu hören freilich

ohne die Fachkenntnis einer Musikspezialistin -, wenn man nicht müde wird, diese seltsam dunklen Texte verstehen zu wollen, wenn einem die Rhythmen längst vertraut sind - dann stutzt man zunächst, weil Wohlbekanntes auf einmal ganz anders klingt. Eine meiner liebsten Kompositionen, „Verde Milonga“, die etwas kunstvoll Schleppendes, Laszives hat, war am Freitag strenger, konturierter, taktbetonter - und immer noch zum Dahinschmelzen schön. Der „Boogie“, auch eins meiner Lieblingsstücke - wie übrigens, ehrlich gesagt, fast alles von Paolo Conte mein Lieblingsstück ist -, der „Boogie“ also reißt in jeder Version zum Tanzen hin, aber die Herrn müßten schon, wie Paolo Conte, einen Smoking tragen, die Frauen hochhackige Schuhe und Strümpfe mit Naht.

„Sudamerika“, „La Negra“, „Blue Tango“, „Dancing“ - alles bekannt, und alles noch nie so gehört, so extensiv, so randvoll mit reicher Instrumentierung. Contes Spezialität bei den Live-Konzerten - im Unterschied zu den Platten - ist die fast unerträglich langanhaltende Steigerung zum Ende hin. Besonders „Max“, eins - siehe oben - seiner allerschönsten Stücke, ist, bis auf den

Anfang, rein instrumental. Und es wollte und sollte am Freitag kein Ende nehmen. Diese Musik ist die pure Erotik, eine Erotik, die es im richtigen Leben nicht gibt und nicht geben kann. Weil sie immer nur lockt, immer verspricht, nie gewährt - und deshalb nicht losläßt. Ja, was soll man da machen? Ich jedenfalls fahre Conte nach Frankfurt nach. Noch ist seine Tournee nicht zu Ende.

Sybille Simon-Zülch