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Promille-Polizisten unzufrieden

Die anteilig verschwindend kleine „Arbeitsgemeinschaft der kritischen PolizistInnen“ tagte in Berlin Der demokratische Unterricht werde vernachlässigt / Sanktionen nach öffentlichem Engagement  ■  Aus Berlin Wolfgang Gast

Ein erschreckendes Resümee zog die „Arbeitsgemeinschaft der kritischen PolizistInnen“ am Ende ihrer dritten Tagung in Berlin. Junge BewerberInnen, die zum Teil mit großem Idealismus in die Polizei eintraten, seien am Ende ihrer zweieinhalbjährigen Ausbildung häufig nur noch „Roboter -Cops“. Der „demokratische Unterricht“ werde erheblich vernachlässigt, und in den „geschlossenen Einheiten“ werde dem Nachwuchs häufig eine ganze Portion Corpsgeist eingebläut. Polizeiliche Mängel also allerorten: fehlendes Demokratieverständnis, ausgesprochener Corpsgeist und Vorgesetzte, die Gesetzesverstöße ihrer Untergebenen decken.

Berlin wurde „nicht umsonst“ als Tagungsort gewählt, zeigten doch zuletzt die Ereignisse rund um IWF und Weltbanktagung, daß es mit den demokratischen Strukturen bei der „Truppenpolizei“ nicht weit her ist. „Was ich dort sah, habe ich in 15 Dienstjahren noch nicht erlebt“, meint Johann Wein, Mitglied der „Kritischen“ und Beamter in der Schwandorfer Region im Rückblick auf den Einsatz der Berliner EbLT-Sondertruppe am Bauzaun der WAA. Zentraler Kritikpunkt sind denn auch die „geschlossenen Verbände“, vor allem deren Kasernierung und mangelnde Ausbildung wie auch die fehlende Kontrolle im Polizeiapparat. Demokratisches Engagement ist eher unerwünscht und die Vorstellung des Sprechers der Arbeitsgemeinschaft, Manfred Such, daß das Engagement von Beamten in Friedensbewegungen Alltag sein sollte, die seltene Ausnahme. Die Erfahrungen der „Kritischen“, deren Anteil unter den Beamten die Promillegrenze nicht überschreitet, zeichnen andere Bilder. Als sich die Arbeitsgemeinschaft nach der Brokdorf -Demonstration und dem „Hamburger Kessel“ 1986 gegründet hatte, wurde sie von Anfang an mißtrauisch beäugt. Als die AG in diesem Jahr in einer Anzeige für den Erhalt der Hafenstraße eintrat, schrieen die Kollegen laut auf. Von „Nestbeschmutzern“ war die Rede, für die polzeiinternen Kritiker „war es ein regelrechter Spießrutenlauf“.

Die Angst in den Reihen der Polizei ist groß. Kaum einer traut sich, öffentlich die Mißstände in den eigenen Reihen aufzuzeigen. Enttäuschend, so die kritischen PolizistInnen, sei auch das Verhalten von Gewerkschaften und Sozialdemokraten. So habe die Arbeitsgemeinschaft in Nordrhein-Westfalen den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis der SPD verliehen bekommen. Ein viertel Jahr später mußten sie dann aber zusehen, wie ihr Sprecher Manfred Such wegen einer öffentlichen Stellungnahme unter Billigung des SPD -Innenministers Schnoor strafversetzt worden sei. In den drei Gewerkschaften, in denen sich Polizeibeamte organisieren können, werde beispielsweise die Forderung nach Namensschildern für Beamte abgelehnt. Bleibt am Ende den alternativen Polizisten nur die selbstgestellte Aufgabe, „die Sachen, die da tabuisiert werden, quasi als Animateure in die Politik einzubringen“.

Unter dem Motto „Das Berufsbild der Polizei in unserer Gesellschaft - Anspruch und Wirklichkeit“ veranstalten die Berliner Sozialdemokraten am Wochenende eine ähnliche Fachtagung.

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