: Ansichten einer Insel
Beim Analysten ■ Aus Big-Bang-City Rolf Paasch
Zuerst in den Anzug geschlüpft, die Krawatte um den blau -weiß gestreiften Hemdkragen gebunden (wie herum war der Knoten noch mal?) und dann den Trenchcoat übergestülpt. Die Uniform muß sitzen, schließlich gilt es ins kapitalistische Herz Londons vorzudringen. Und dort sieht jeder so aus. 9.30 Uhr, Appointment in the City. Als ich in „Moorgate“ aus der Erde steige, bleibt mir noch Zeit für einen Besuch des italienischen Cafes gleich um die Ecke. Dort sitzen die verfrühten Angestellten der Finanzmetropole hinter der 'Financial Times‘ verschanzt und schlürfen einsam ihren Capuccino, während sich kleine Gruppen von Arbeitern mit „baked beans and chips“ bereits ihre warme Pausenmahlzeit einverleiben. Einen Tisch teilen sich die Handarbeiter der Nation und die Handlanger des Mammon nur wenn's gar nicht anders geht.
9 Uhr 30. Der Börsianer läßt bitten, erwartungsvoll fährt der Journalist mit dem Lift zum siebten Stockwerk des schmucklosen Broker-Hauses empor. Zwischendurch, auf den Etagen drei und vier gelingt es ihm, noch einen kurzen Blick in die Großraumbüros zu werfen, wo täglich Millionenbeträge über den Bildschirm gedealt werden. Seit dem „Big Bang“, dem Urknall der Finanz-Revolution vor genau zwei Jahren, hat London keine Börse mehr und werden die Händel mit Staatsanleihen, Aktienpaketen und Währungstranchen direkt per Knopfdruck am Monitor getätigt. Die alte „Stock Exchange“ in der Threadneedle Street soll zum Einkaufszentrum oder zum Schwimmbad umgebaut werden.
Im siebten Stock empfängt mich kein steifer englischer Erz -Yuppie, sondern ein freundlicher Herr mit schottischem Akzent. Als Experte für den Aktienmarkt führt er die von der Fachzeitschrift 'Institutional Investor‘ alljährlich herausgegebene „Hitliste“ für Börsenexperten an. Ob über 1992 oder die Probleme der britischen Exportindustrie, der Mann weiß, wovon er redet, hatte er doch vor Jahresfrist als einer der ganz wenigen den Crash vorausgesagt. Zudem arbeitet er in einem Broker-Haus, in dem mehr ökonomischer Sachverstand versammelt ist, als in sämtlichen Ministerien und den schwächlichen Denkapparaten der Opposition zusammengenommen. Wer in Großbritannien etwas über die Volkswirtschaft, über Industriezweige oder Marktentwicklung wissen will, der gehe zu einem dieser freundlichen Herren (Damen gibt's in diesem Metier immer noch verschwindend wenige) mit der Berufsbezeichnung eines „Analysten“.
Und wer über die Trends auf den Finanzmärkten informiert sein will, der schaue sich nur die wechselnden Besitzverhältnisse dieser Broker-Häuser an. Unsere Firma gehört mittlerweile der Schweizerischen Bankengesellschaft, die im Europa der frei fließenden Kapitalströme nicht draußen vor bleiben will. Die Konkurrenten sind noch in britischen, in amerikanischen oder schon in japanischen Händen. Nur das bundesdeutsche Finanzkapital ist trotz der Expansionsgelüste der Deutschen Bank auf dem Finanzplatz London noch völlig unterrepräsentiert.
Hier also, und nicht in Downing Street oder gar im Unterhaus, liegt die als ökonomisches Wissen verkleidete Macht, die Definitionsgewalt über wirtschaftliche Probleme. Während Frau Thatcher als politischer Anti-EG-Hooligan durch Europa pöbelt, wird hier bereits am europäischen Supermarkt finanzieller Dienstleistung gebaut, der sich am Ende von den Politikern nicht einmal mehr die Ladenschlußzeiten vorschreiben lassen wird. Die De-Regulierung bei den finanziellen Dienstleistungen, so erzählt mir mein so kompetenter Gesprächspartner ganz begeistert, werde erst nach 1992 wirklich zum Tragen kommen. Nur als ich ihn zum Abschluß nach den dann noch verbleibenden Handlungsspielräumen für eine nationale, vielleicht gar eine linke Wirtschaftspolitik und nach Möglichkeiten einer demokratischen Kontrolle der globalen Finanzgebaren frage, ernte ich ein verständnisloses Lächeln.
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