: Rotation brachte GAL ins Kreiseln
Hamburgs Grüne: Fundi-Landesvorstand contra Realo-Fraktion / Wieviele dürfen wann rotieren? / Fraktion und NachrückerInnen setzten sich mit einem Parlamentsstreik gegen den Landesvorstand durch ■ Aus Hamburg Axel Kintzinger
Kirsten Ellerbrake lächelte wie eine Baghwan-Jüngerin. „Ja“, beschied die Sprecherin der Hamburger GAL-Fraktion die Journalisten, „einige Abgeordnete erscheinen heute nicht in der Bürgerschaftssitzung.“ Nein, genaueres wüßte sie nicht, wolle es auch gar nicht wissen: „Ich bestreike den Streik dieser Damen.“
Mit einer wohl einmaligen Aktion gelang es den Hamburger Grünen in der vergangenen Woche, wieder einmal Schlagzeilen zu machen: Die Abgeordneten Adrienne Goehler und Thea Bock bestreikten die eigene Partei. Der Grund: Unmittelbar vor Sitzungsbeginn hatten sie erfahren, daß der GAL -Landesvorstand am Abend zuvor einer Abmachung der Fraktion mit ihren Nachrückerinnen den Segen verweigert hatte. Es geht um die Rotation, die alternativ-parlamentarische Kuriosität, die Hamburg als letzter Landesverband der Grünen noch praktiziert. Mitte Februar soll es soweit sein. Die achtköpfige Frauenfraktion verläßt nach zweijähriger Amtszeit die harte Oppositionsbank, um ihren Nachrückerinnen Platz zu machen - ein an sich recht einfacher Vorgang.
Bei der GAL führte er letzte Woche jedoch zu größten Irritationen. Während einer Sitzung des Landesvorstandes wurde es laut, Türen knallten. Die Parteiführung machte Bedenken gegen die geplante Blockrotation geltend. Angesichts des bevorstehenden Europa-Wahlkampfes und dem Trubel um den 800. Hafengeburtstag - dem die Ökopax-Partei Kritisches entgegensetzen will - seien Kontinuität und Parlamentserfahrung vonnöten. Das lasse eine Totalrotation nicht zu. Daher schlug der Landesvorstand vor, schrittweise zu rotieren. Fünf Frauen sollten im Februar, die anderen drei im August nachrücken. Die vorgebrachten Argumente waren den acht Nachrückerinnen jedoch egal - sie werden von ganz anderen Problemen geplagt. Sie stehen im Berufsleben und müssen Arbeitgebern, Schulleitern und anderen frühzeitig offenlegen, ob ihr Einsatz am Arbeitsplatz demnächst reduziert wird oder nicht.
Die Schärfe der Auseinandersetzung hat jedoch noch andere Ursachen. Der Landesvorstand vermutet in der neuen Fraktion eine knallharte Realo-Combo. Diesen Eindruck verstärkten jüngst die Nachrückerinnen: Eine kündigte einen „möglichst deutlichen Bruch“ mit der bisherigen Politik an, andere sagten eine „feministische Wirtschafts- und Ökologiepolitik“ voraus. Was sich genau dahinter verbirgt, ist dem Landesvorstand noch heute nicht klar - logisch, daß ihm da nichts Gutes schwant.
Doch die Frauen blieben hart: „Alle oder keine“ lautete ihre Devise zur Rotation - auch eine „Empfehlung“ der Parteiführung, die Frage noch einmal zu überdenken, ließ sie kalt. Für diesen Fall hatte der Landesvorstand damit gedroht, den Konflikt von einer Mitgliederversammlung lösen zu lassen.
Doch bevor es soweit kommen konnte, eskalierten Teile der noch amtierenden Fraktion den Konflikt mit ihrem medienwirksamen Streik. In einer nächtlichen Krisensitzung beugte sich der Landesvorstand den aufbegehrenden Frauen, nicht ohne eine „Erpressungssituation“ zu beklagen und den Frauen vorzuwerfen, eine „gemeinsame Diskussion“ zu verweigern. Ein Fundi-Vorständler in einem „Sondervotum“: „Wenn sämtliche 'Hemmschwellen‘ der politischen Kultur und des Miteinanderumgehens zugunsten von Erpressung fallen, sitzt die Fraktion wirklich am längeren Hebel.“ Aber auch die Realos feuern volle Breitseiten ab. In ihren Papieren drängeln sich Begriffe wie „Heuchelei“, „Diffamierungstrategie“ und „Klimavergiftung“. Die Rotations -Kuh ist zwar vom Eis, die GAL-Krise jedoch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen