: Piraten in der Walfischbucht
■ Auch ein unabhängiges Namibia bleibt abhängig von Südafrika
„Wenn Sam Nujoma in Windhoek die Regierung übernimmt, dann wird er schnell merken, daß er nicht an die Macht gekommen ist: Im unabhängigen Namibien behält Südafrika den Fuß in der Tür - wirtschaftlich und militärisch.“ In Walvis Bay, der südafrikanischen Enklave 300 Kilometer westlich der namibischen Hauptstadt Windhoek, bedarf die Meinung des deutschen Geschäftsmannes kaum Erläuterung. Die 1.124 Quadratkilometer Sanddünen entlang der „Walfischbucht“ sind eine wirtschaftliche und militärische Festung, von der aus sich das gesamte Land kontrollieren läßt: Im einzigen Tiefseehafen Namibiens werden neun Zehntel des Außenhandels umgeschlagen, und die gepanzerten Fahrzeuge der südafrikanischen Armee können von hier aus in weniger als drei Stunden Windhoek erreichen.
„Walvis Bay ist von vitalem Interesse“, bestätigt Jan Jürgens, der Verantwortliche der namibischen Fischindustrie. „Als unabhängiges Land können wir endlich unsere 200-Meilen -Zone beanspruchen und gegen die Raubfänge schützen - sofern die Südafrikaner uns von Walvis Bay aus operieren lassen.“ Bislang lassen die südafrikanischen Behörden vor allem die fremden Fangschiffe operieren. „Der Handelswert der jährlichen Verluste beläuft sich auf rund drei Milliarden Mark“, rechnet Jürgens vor. Unter den Piraten entlang der namibischen Küste zeichnet sich vor allem die Sowjetunion aus: Mit annähernd 500.000 Tonnen im Jahr schleppt sie illegal 40 Prozent der Gesamtfänge ab.
In Roessing, zwanzig Kilometer von Walvis Bay entfernt, baut seit knapp zehn Jahren ein internationales Konsortium Uran ab. Im Tagebau werden hier alle 20 Minuten 100 LKWs mit Granitschotter beladen, aus dem anschließend das Uran chemisch isoliert und als „yellow cake“ transportfähig gebunden wird. Uran und Diamanten sind die wichtigsten Ausfuhrgüter Namibiens, die allein ein Viertel des Inlandsbruttosozialprodukts aufbringen. Die Diamantenzone ist ebenfalls nicht weit von Walvis Bay entfernt. Südlich der Enklave liegen 21.000 Quadratkilometer „Sperrgebiet“, in der eine Filiale des südafrikanischen Konzerns „De Beers“, die „Consolidated Diamond Mines“, hoheitliche Rechte ausübt: In landgängigen Fahrzeugen und von Hubschraubern aus kontrolliert die betriebseigene Polizei das riesige Gebiet als Staat im Staate.
Im Versailler Vertrag, der 1919 Pretoria die Hoheitsrechte über die ehemals deutsche Kolonie zusprach, war von einer „Verwaltung als integraler Bestandteil Südafrikas“ die Rede. Dieses - von den Vereinten Nationen 1966 widerrufene Mandat ist im Laufe der vergangenen 70 Jahre Wirklichkeit geworden. Alles ist heute an Südafrika gebunden: 42.000 km Straßennetz, 2.350 km Eisenbahnlinien, Telefon und Stromversorgung. Direkt und - über Zolleinnahmen und garantierte Auslandskredite - indirekt kommt Pretoria für beinahe die Hälfte des namibischen Staatsbudgets auf: 85 Millionen Mark. Das ist ironischerweise genau der Betrag, der im gegenwärtigen Haushalt für „Sicherheit“ ausgegeben wird... Eine Sicherheit, die Südafrika vielleicht heute zu teuer erscheint: Seit 1966 hat Pretoria mehr als zwei Milliarden Dollar in die nachbarliche Wüste gepumpt, davon die Hälfte im Laufe der vergangenen vier Jahre. Mit der Gewährung völkerrechtlicher Unabhängigkeit ist das möglicherweise billiger zu haben...
Knut Pedersen
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