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JüdInnen in Büchern

■ Fünf neue Bremer Veröffentlichungen erzählen vom Leben und Sterben jüdischer BremerInnen vorm und im „Dritten Reich“ / Täter noch heute manchmal ungenannt

Im Boom des Gedenkens an die „Reichskristallnacht“ haben außer Veranstaltungen und Zeitungsbeilagen auch Bücher und Broschüren Konjunktur. Deren vier, alle in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Pogrom vom 9.11.1938, erschienen in diesem Herbst in Bremen. Hinzu kommt ein fünftes, das bereits Wochen vor dem 50. Jahrestag herauskam und u.a. das Schicksal der einst 19 jüdischen Zahn-ÄrztInnen in Bremen zum Gegenstand hat (Charlotte Niermann, Stephan Leibfried: Die Verfolgung jüdischer und sozialistischer Ärzte Bremen in der „NS„-Zeit).

Außer Neuerscheinungen finden plötzlich auch „Ladenhüter“ wie die Dissertation von Regina Bruss Absatz. Jahrzehntelang hatte sich fast keine der hiesigen ChristInnen und AtheistInnen der „Bremer Juden unter dem Nationalsozialismus„ erinnert, entsprechend gering war das Interesse an dem gleichnamigen Standardwerk von Regina Bruss. Als die

umfangreiche Doktorarbeit 1983 im Staatsarchivs erschien, kursierte das Buch in Kreisen jüdischer Überlebender - bis hin nach Israel. Das Werk, das Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung erstmals breit und akribisch aufarbeitet, stieß in diesem besonders aufmerksamen Kreis nicht nur auf positive Resonanz. Zum Beispiel hatte die Autorin - 45 Jahre nach der Schreckensnacht - die Namen der Nazi-Chargen durch Abkürzung unkenntlich gemacht oder sich in SA-Männer in undurchschaubarer Weise hineinversetzt und ihnen voller Mitgefühl „innere Erschütterung“ nach dem Morden attestiert. Zudem hatte sie aus Gedankenlosigkeit die Namen der toten Bremer JüdInnen nicht mit dem hebräischen Todessymbol gekennzeichnet, sondern mit dem christlichen Kreuz - Symbol der Mörder-Religion.

Ungeachtet dieser Schwächen wurde das Standardwerk von Regina Bruss zur unverzichtbaren

Grundlage für viele derjenigen, die die Gedenkwochen in Bremen vorbereiteten. In den Monaten vor dem 9.11.1988 fand das Buch regen Absatz und ist mittlerweile vergriffen.

Neu erschienen dafür folgende Bücher und Broschüren: Erstens der Sammelband „'Reichskristallnacht‘ in Bremen„, 99 Seiten stark. Dieses, pünktlich zum Jahrestag der „Kristallnacht“ fertiggestellte Bändchen geht in verschiedener Hinsicht über das Standardwerk von Regina Bruss hinaus. Da ist einmal der, wenn auch sehr kurze, geschichtliche Abriß über die „Israelitische Gemeinde in Bremen“ von Gemeindevorstand Karla Müller-Tupath. Die Geschichte einer Gemeinde, die bereits 1815 unter Bürgermeister Johann Smidt zu leiden hatte. Wilhelm Lührs nennt in seinem Kapitel über das Novemberpogrom erstmalig die Täter mit Namen. Neues enthüllt auch das Kapitel von Hans Wrobel, der aufzeigt „Wie die Täter nach 1945 zur Verantwortung gezogen wurden“ - nämlich so, daß sie teilweise von ehemligen NSDAP-Mitgliedern in Robe milde beurteilt und schon l951 begnadigt wurden. Alarmierende Parallelen zu der wachsenden Ausländerfeindlichkeit im Bremen der achtziger Jahre ruft das Kapitel von Inge Marßolek und Hartmut Müller wach. Es registriert den „Antisemitismus in Bremen 1918 bis 1933“: Zum Beispiel die antisemitische Propaganda eines Leh rers, der sich des Schutzes des Polizeipräsidenten gewiß sein sein konnte, oder kritsche SPD-Anfragen im Parlament schon 1920, Schlägertrupps, die in den zwanziger Jahren regelmäßig Juden überfielen, oder die vergebliche Bitte der jüdischen Gemeinde, das Auftreten den „völkischen Agitators Adolf Hitlers“ in Bremen zu verhindern.

Die zweite Neuerscheinung in diesem November („Sie lebten unter uns“) konzentriert sich auf die fünf Todesopfer der „Reichskristallnacht“ in Bremen und Umgebung. Der Autor Rolf Rübsam hat bereits 1985 mit SchülerInnen

Spurensuche betrieben, Menschen befragt, die als Patientin oder Haushälterin, als Nachbar oder Vereinskamerad Zeugnis geben konnten über die drei jüdischen BürgerInnen, die in der „Kristallnacht“ in Bremen-Nord ermordet worden waren. Rolf Rübsams Spurensuche hat sich gelohnt. Mit vielen Details zeichnet er den Weg des Arztehepaares Goldberg nach. ZeitzeugInnen berichten davon, wie der „Armen arzt“ Dr. Goldberg und mit einer Droschke über die Dörfer fuhr. Wie er und seine Frau die Hausmädchen großzügig entlohnten und wie die Hochzeit der ältesten Tochter begangen wurde. Und wie er und seine Frau zunehmend in eine trostlose Isolation gerieten, wie sich eine Besucherin höchstens in der Dunkelheit noch in das Arzthaus traute. Eine besondere Kostbarkeit in diesem Buch ist die Geschichte der überlebenden Tochter Käthe Goldberg. Sie kehrte trotz des grausamen Mordes an ihren Eltern im Alter nach Bremen zurück, und erlebte - wunderbarerweise - die Fortsetzung einer tragisch abgebrochenen Liebesgeschichte. Bei aller Würdigung der Opfer fällt auf, daß Rübsam keinen der Täter, die in derselben Nachbarschaft lebten, namentlich erwähnt. Ein Kapitel, das noch geschrieben werden müßte.

Zwei weitere Bremer Veröffentlichungen sind Materialsammlungen, bestimmt für Unterricht und Bildungsarbeit: die eine herausgegeben von der „Forschungs -und Bildungsstätte“, die andere vom Staatsarchiv. Beide laden auch ohne weiterbildnerische Absichten zum stundenlangen Stöbern ein. Die abgedruckten Originaldokumente sprechen für sich: z.B. der ausführliche Schriftwechsel über die Frage, ob jüdische Schausteller zum Freimarkt zugelassen sind.

AutorInnen und HerausgeberInnen bleibt zu wünschen, daß ihre Bücher und Broschüren auch nach dem Abklingen des November-Gedenkens noch AbnehmerInnen finden.

Barbara Debus

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