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Das italienische Drogen-Desaster

■ Politische Manöver: Die Sozialisten wollen den Drogenkonsum wieder kriminalisieren / Von Werner Raith

Italien ist auf dem Weg in das Drogen-Europa der neunziger Jahre. Die Zahl der Rauschgift-Toten hat rapide zugenommen. Die Antwort der Politiker, allen voran jetzt der Sozialist Craxi: Nicht mehr Liberalisierung, sondern mehr Strafen für Abhängige.

Der Blitz traf die im warmen Spätherbst träge dahinbosselnden Italiener gleich von zwei Seiten: in Turin starben innerhalb von 24 Stunden sechs junge Menschen an Rauschgiftgenuß. Und aus den USA schleuderte, fast gleichzeitig, Sozialistenchef Bettino Craxi ein gewaltiges Verdikt: Drogenkonsumenten haben künftig, so der PSI -Vorsitzende, als Kriminelle zu gelten, und Händler gehören sowieso lebenslänglich in den Knast.

Monatelang hatte es so ausgesehen, als wollte Italiens Sozialistische Partei eher eine Liberalisierung und damit eine Entmachtung der Drogendealer, um die Rauschgiftkriminalität in Angriff zu nehmen. Die Partei stand dabei nicht allein: Auch kommunistische und christdemokratische PolitikerInnen bis hin zur Staatsministerin für Soziales, Rosa Russo Jervolino, befürworteten diesen Kurs.

Doch nun hat der große Vorsitzende, Craxi, nach einer Begegnung mit dem US-Oberfahnder Rudolph Giuliani, zum Marsch in die Gegenrichtung geblasen: ein „Problem von europäischer Dimension“ hat Craxi, gewohnt an Denken in welthistorischen Dimensionen, ausgemacht, „eine Zukunftsfrage“ und zweifellos müsse sein Italien hier „der Vorreiter, das Vorbild sein“ für die anderen Staaten, schon im Hinblick auf 1992. Erster Schritt: weg mit der Straffreiheit für den Besitz einer „mäßigen Menge Rauschgift“, die ein 1975 verabschiedetes Gesetz zuläßt.

Bettino Craxi ist profilierungssüchtig, seit er nicht mehr Regierungschef ist. Sein Vorstoß brachte, absehbar, die anderen Parteien in Zugzwang, und tatsächlich scheinen nun auch große Teile der Regierungsparteien (Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten, Republikaner, Liberale) zu einer Verschärfung aller Maßnahmen gegen Rauschgifte bereit. Abgelehnt wird die neue Entwicklung von den meisten Medien, zahlreichen Rauschgift- und Mafia-Experten und von den Oppositionsparteien: Grüne, Radikale, Demoproletarier und Neofaschisten halten den Ansatz Craxis für „hirnverbrannt“ (so Massimo Teodori von der Radikalen Partei). Und selbst die sonst regierungsfrommen Komunisten fanden zu einer erstaunlich klaren Sprache: „Die Süchtigen seid nicht Ihr“, rief bei einer Tagung mit Drogenabhängigen PCI-Chef Achille Occhetto, „sondern die in der Regierung, die glauben, alle Probleme mit Strafen lösen zu können.“

In der Tat sind die Argumente der Kriminalisierungs-Freunde eher dürftig. Die Behauptung Craxis, Strafen könnten Jugendliche vor dem Einstieg überhaupt in Drogen abhalten, scheint selbst seinem Vize Martelli „abstrus“. Was man mit einer halben Million Rauschgiftsüchtigen - so Craxis Zahlen

-strafrechtlich anfängt, „das weiß natürlich keiner“ -, so PSI-Justizminister Giuliano Vasalli. Die Gefängnisse quellen sowieso über; 25.000 Plätze, aber 40.000 Einsitzende gebe es derzeit.

An dieser Stelle pflegen Craxi und seine Mitstreiter die „Zwangseinweisung in eine Therapiegemeinschaft“ aus der Tasche zu ziehen ( doch „darüber lachen hierzulande selbst die Hühner“, amüsiert sich Massimo Teodori: „Gerade magere 6.500 Plätze stehen in ganz Italien bereit, die meisten in kirchlicher Obhut. Wo nicht, gibt es sie zu horrenden Preisen für die Sprößlinge begüterter Familien.“

Craxi selbst hatte in seiner Regierungserklärung als Ministerpräsident 1983 die Schaffung einer „ausreichenden Zahl von Plätzen in Therapieeinrichtungen“ versprochen. Doch nichts geschah, die einschlägigen Strukturen verfallen seit Jahren. In einigen Fällen gerieten sie gar unter massiven Beschuß: der Leiter der mit 600 Plätzen europaweit größten Therapiegemeinschaft San Patrignano, Vincenzo Muccioli, hatte Abhängige auf eigenen Wunsch eingesperrt und konnte 1986 erst nach zwei Jahren Kampf seine Unschuld gegen die Anklage der Freiheitsberaubung nachweisen. Mauro Rostagno, Leiter der ersten funktionierenden Drogengemeinschaft Siziliens, wurde im September 1988 von der Drogen-Mafia ermordet.

In einer Fernsehsendung anfang der Woche blamierten sich Craxi und einige kirchliche Therapie-Leiter nach allen Regeln der Kunst. Craxi wußte nicht einmal, daß Drogenhandel auch heute strafbar ist und daß die zugestandene persönliche Menge, zum Handel angeboten, bereits zwei bis vier Jahre Gefängnis nach sich zieht. Beifall von den Kriminaliserungsgegnern findet allenfalls der Vorschlag Craxis, die großen Händler stärker zu bestrafen. Doch genau für deren Wohlergehen tun gerade die Sozialisten anderweitig besonders viel. Antimafia-Ermittler werden gerade vom PSI reihenweise persönlich attackiert, wie der Trientiner Ermittlungsrichter Carlo Palermo, der regelrecht verfolgt wurde, nur weil er sich bei der Fahndung nach Drogenhändlern auch einen PSI-Finanzier vornahm. Von Sozialisten durchgepeitschte Gesetze nehmen die Justiz an die kurze Leine; Ankläger, die Verbindungen von Politikern und Drogenhändlern denunzieren, werden vom PSI-Justizminister gemaßregelt. Und ein unter Craxi beschlossenes Allgemeines Strafnachlaßgesetz wird ausgerechnet dem Ober-Boss Palermos, Luciano Liggio, trotz lebenslänglich in den nächsten Monaten die Freiheit wiederbringen. Gut zu wissen: Die Hilfe durch einige Mafia-Gruppen führte dazu, daß bei den letzten Wahlen die Sozialisten in Sizilien ihren Stimmenanteil von elf auf 18 Prozent ausbauen konnten.

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