piwik no script img

Der Atomwaffenstaat im Wartestand

■ Ein Reader zur Kölner Aktionskonferenz „Denuklearisieren statt modernisieren - Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz“ untersucht Parallelen zwischen dem schwedischen und dem bundesdeutschen Atomprogramm

„Heute weiß man gar nicht, wo man mit der Untersuchung anfangen und wo man aufhören soll.“ Der Seufzer des Physikers Detlef zum Winkel, ausgestoßen anläßlich des Auftrags, wieder einmal etwas über die militärischen Ambitionen des zivilen Atomprogramms zu schreiben, klingt wie eine Klage, ist es aber nicht. Für diejenigen, die seit Jahren in dröger Kärrnerarbeit vor dem deutschen Griff zur Bombe gewarnt haben und sich dabei zumeist an der militärischen Gewolltheit der Plutoniumwirtschaft langhangelten, gibt es jetzt eine verwirrende Vielzahl von Spuren zu bundesdeutschen Nuklearambitionen: ominöse Atomtransporte, geheime Forschung, Fäden zu US-Waffenlabors usw. Mehr Spuren, das heißt auch mehr Ansatzpunkte für Recherche, Aufklärung und Opposition - und darum kein Anlaß zur Klage. Einigen Spuren wird nachgegangen in dem Reader zur Aktionskonferenz Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz am kommenden Wochenende in Köln.

Das Heft umfaßt einführende Beiträge für die Arbeitsgruppen dieser Konferenz, zwar nicht nach dem Vollständigkeitsprinzip, aber dafür original geschrieben für den aktuellen Zweck: zum Beispiel die Erörterung, warum der Atomwaffensperrvertrag kein ausreichender Riegel gegen Atomambitionen ist, aus Sicht der Vereinigung Demokratischer JuristInnen; die sogenannte „Modernisierungs„-Politik der Nato nach dem INF-Abkommen, skizziert von verschiedenen Flügeln der Friendensbewegung; eine niederländische Bewertung der bundesdeutschen Kampagne für die Verzichtserklärung im Grundgesetz.

Auf zwei Aufsätze sei hier gesondert hingewiesen, weil sie die vorhersehbaren politischen Konflikte auf der Kölner Konferenz markieren. In einer Positionsbestimmung des SPD/DKP-nahen „Hamburger Forums“ zu dieser Kampagne schreiben die Friedensfreunde, angesichts der umfassenden Aufrüstungsmaßnahmen im nuklearen, konventionellen und chemischen Bereich sei die Grundgesetz-Initiative von „untergeordneter Bedeutung“, verkomme außerdem angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse zu einem „Vorführen“ von Kräften (sprich: SPD), die als Bündnispartner „dringend benötigt“ würden.

In Konfrontation zur Sozialdemokratie geht auf der anderen Seite eine Untersuchung des schwedischen Atomwaffenprogramms, das im nordischen Musterstaat jahrzehntelang vor der Öffentlichkeit und dem Parlament geheim gehalten wurde und einige Parallelen zur Situation in der BRD aufweist: zum Beispiel die Legitimation als „Schutzforschung“, wo an der Optimierung von Waffen-Designs gearbeitet wird, sowie die staatliche Bevorzugung der Plutoniumindustrie. Auch wenn Sozialdemokraten das heute nicht gerne hören: der schwedische Weg wurde von Helmut Schmidt einmal als Vorbild gepriesen.

Charlotte Wiedemann

Reader zur internationalen Aktionskonferenz vom 25. - 27.11 in Köln. 42 Seiten, 5 Mark. Bezug: Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz, Reuterstr.44, 53 Bonn 1. Tel. 0228/222826)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen