„Slobo“ erschüttert Jugoslawiens Gleichgewicht

Der serbischer Parteichef Milosevic verläßt sich bei seiner rechtspopulistischen Kampagne auf den serbischen Nationalismus und die Restalinisierung der Partei - aber in seinem Wirtschaftsprogramm „hängt er am Rockzipfel des IWF wie andere Politiker auch“  ■  Von Erich Rathfelder

„Auf die Frage 'Was bin ich‘ müßten die Milosevic-Anhänger eigentlich die rechte Hand zum Gruß heben“, witzelt ein deutscher Geschäftsmann, der seit Jahren in Belgrad lebt. Wenn es auch noch nicht zu einem solchen Erkennungszeichen gekommen ist - die Insignien der neuen serbischen Nationalbewegung beherrschen heute schon fast täglich das Zentrum der Stadt. Hunderte von Jugendlichen versammeln sich da und rufen „Slobo, Slobo, Kosovo ist serbisch“ und andere Parolen. Bei den oppositionellen Intellektuellen der serbischen Hauptstadt sind die Witzeleien über den Parteichef seltener geworden. Auch bei den härtesten Kritikern schwingt Respekt mit, wenn heute von dem umstrittensten Politiker Jugoslawiens gesprochen wird: Immerhin habe es der 47jährige Spitzenfunktionär geschafft, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. „Wer hätte schon daran gedacht, daß nach 40 Jahren Parteiherrschaft und Ruhe im Land Hunderttausende auf die Straße gehen? Es bewegt sich wieder etwas in den festgefahrenen Verhältnissen hier“, meinen manche, die den Inhalten der neuen Politik sonst ablehnend gegenüberstehen.

Ein blasser Technokrat?

Noch 1986, als er den Parteivorsitz in Serbien übernahm, galt Slobodan Milosevic als blasser Technokrat. Doch schon im Herbst vorigen Jahres zeigte er Flagge: Damals jagte er seine Gegenspieler in der Parteiführung und auch den Republikspräsidenten Stambulic davon und entfesselte eine nationalistische Kampagne, die seither an dem sensiblen Gleichgewicht der politischen Kräfte in Jugoslawien rüttelt. Mit skrupelloser Härte ließ er die serbische Partei und die Belgrader Medien von Gegnern säubern. Und mit Sprachgewalt und Organisationstalent gelang es ihm in diesem Jahr, Hunderttausende gegen die Parteiführungen der zu Serbien gehörenden autonomen Provinzen Kosovo und Wojwodina zu mobilisieren. Erst als sich Milosevic-Anhänger unter die protestierenden Arbeiter in der montenegrinischen Hauptstadt mischten und auch dort die Ablösung der alten Parteiführung forderten, schlug das Parteiestablishment zurück: Mit einem Polizeieinsatz wurden die Demonstranten und damit Milosevic selbst in die Schranken gewiesen. Und als der serbische Parteichef vor vier Wochen bei der Sitzung des Zentralkomitees des „Bundes der Kommunisten Jugoslawiens“ eine radikale Säuberung der Bundespartei einleiten wollte, stieß er auf den Widerstand der Parteiführungen der anderen Republiken. Niemand hatte es für möglich gehalten: Slowenen, Kroaten, Montenegriner und Bosnier bildeten eine Koalition gegen den Serben.

Serbiens erster Mann

Doch in Serbien ist er der erste Mann. Überall, auf den Straßen, beim Einkaufen, in den Restaurants und Cafes wird über Serbien und die „Verbrechen der Albaner“ diskutiert. Milosevic ist es gelungen, die politischen Leidenschaften wieder zu erwecken. „Wenn am Wochenende über eine Million Menschen demonstrieren, dann nicht aufgrund eines äußeren Druckes, sondern weil sie freiwillig hingegangen sind“, meint Pavlusko Imsirovic, ein Linksintellektueller und stadtbekannter Oppositioneller, der mehrmals für sein Engagement für Menschenrechte und Demokratisierung mit Gefängnisstrafen büßen mußte.

Nicht nur Jugendliche strömten zu dem Meeting. Und das ist umso verwunderlicher, als Milosevic mit kaum einem Wort die wirklich bedrückenden Sorgen der Bevölkerung anspricht. In seinen Reden hört man selten etwas über die Inflation von nunmehr über 200 Prozent, über das Absinken des Lebensstandards, über eine neue Wirtschaftspolitik, die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage gäbe. Sein Weltbild ist einfach und durchschlagend zugleich. Für viele Serben ist die Welt inzwischen voller Feinde. Neben den Albanern in Kosovo, die angeblich die Serben knechten, vertreiben und serbische Frauen vergewaltigen, die das Herzland Serbiens an sich reißen, den historischen Boden „entweihen“, gibt es auch jene, die mit ihnen verbündet sind: Die Mafia der Parteibürokraten, die nur an ihren Vorteil denken, die „mitteleuropäischen Slowenen mit ihrer Arroganz gegenüber den Südslawen“ und die anderen, denen einfach die „Größe Serbiens“ ein Dorn im Auge ist. „Alle haben uns im Stich gelassen, wir stehen wieder dort, wo wir vor 70 Jahren standen, als nach dem Ersten Weltkrieg Jugoslawien entstand“, ist eine gängige Meinung geworden. „Slobo, Slobo (auf dt. Der Freie)“ - das ist ein Schlachtruf einer neuen Dimension: Mit Slobo für Serbien kann die bedrückende Wirklichkeit im Lande vergessen werden.

Daß hier Anklänge an die Massenpsychologie des Faschismus auszumachen seien, will mein Gesprächspartner im Cafe Moskwa nicht so stehen lassen. Zoran Dindic ist Universitätsprofessor und hat mit seinen 36 Jahren eine beachtliche oppositionelle Karriere hinter sich, die mit Gefängnisstrafen und einem mehrjährigen Studium der Frankfurter Schule in der Bundesrepublik verbunden ist. „Diese Bewegung kann man nicht mit westlichen Maßstäben beurteilen. Die Serben waren immer jugoslawisch ausgerichtet. Doch seit 10 Jahren beobachtet man in anderen Republiken eine Absetzbewegung vom Gesamtstaat. Die Slowenen machen ihre eigene Politik, die Kroaten haben auch ihre Sonderwünsche seit 1971 (damals gab es eine Bewegung für mehr Autonomie in Kroatien - die Red.) und selbst in Bosnien bezieht man sich auf sich selbst. Die Frage 'Was ist Serbien‘ lag in der Luft, und Milosevic hat diese Frage vielleicht unbewußt angesprochen.“ In Kosovo sieht Dindic ein unlösbares Problem, und manche nationalen Töne hält er für übersteigert. Doch die wirklich interessante Entwicklung für ihn ist, daß mit dieser Mobilisierung auch demokratische Reformen erreichbar sind. „Die Mobilisierung in der Wojwodina war ein Modell, wie man ein System, das sich selbst blockiert, verändern kann. Die Frage ist jetzt, ob die Politiker einsehen, daß die Menschen, die da eine Nacht im Regen standen, auch aus anderen Gründen gekommen sind. Nur wenn eine Demokratisierung in Aussicht gestellt wird, kann die Mobilisierung aufrechterhalten werden“, hofft Zoran Dindic.

Am Rockzipfel des IWF

Baut diese Position nicht auf den guten Willen eines Führers, der bisher noch nicht zu erkennen gab, in welche Richtung - außer der nationalistischen Mobilisierung und der Restalinisierung der Partei - er gehen will? Für Pavlusko Imsirovic sind noch immer die materiellen Interessen für die Veränderung entscheidend. Bisher habe er in Serbien noch keine spontanen, also nicht von der Partei gelenkten, Aktionen der Arbeiter mit nationalistischen Parolen gesehen. Und das sei die Hoffnung. „Selbst als Milosevic zu den Arbeitern sprach, riefen die Arbeiter nach höheren Löhnen und keine nationalistischen Parolen. Die kamen nur von den Trupps, die Milosevic selbst mitgebracht hatte. Milosevic versuchte die Aktionen der Arbeiter zu kanalisieren. Doch er selbst hat kein Wirtschaftsprogramm, außer der Rhetorik über Marktelemente und die Liberalisierung der Wirtschaft. Er hängt genauso am Rockzipfel des IWF wie die anderen Parteiführer. Und damit löst man die sozialen Probleme nicht, sondern verschärft sie. Eine autoritäre Lösung wie in Rumänien und in Chile kann er wegen des Widerstands der anderen Republiken auch nicht durchsetzen. Also müßten über kurz oder lang die sozialen die nationalen Forderungen verdrängen. Dazu gehört aber, daß sich wieder eine unabhängige Arbeiterbewegung in ganz Jugoslawien bilden kann.“