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Marias Verkündigung aus dem Piratensender

In einer kleinen Gemeinde im Harz betreibt der katholische Priester im Gotteshaus einen illegalen Sender / Sonntägliche Predigt erreicht auch die Wirtshausgänger / Polizei- und Postbeamte suchten die geweihte Sendezentrale heim  ■  Aus Göttingen Susanne Brahms

„Polizei- und Postbeamte in Uniform haben keinen Zutritt“ wer solche Sprüche nur an den Türen linksalternativer Wohngemeinschaften vermutet, der irrt. Ein Zettel mit dieser Aufschrift klebt wie dereinst Luthers revolutionär -reaktionäre Thesen am Portal einer katholischen Kirche der „Maria Verkündigung“ zu Breitenberg bei Duderstadt.

Bevor wir nun nach Jahren der Enthaltsamkeit wieder eine Kirche betreten, eine katholische zudem, um an dem abendlichen Gottesdienst-Spektakel teilzunehmen, sehen wir uns um - wer kennt schon Breitenberg?

Das 1.000-Seelen-Dorf Breitenberg liegt - bonjour tristesse - im Eichsfeld bei Duderstadt, im sogenannten „Zonenrandgebiet“, dem Ostfriesland der Harzregion; in einer Gegend also, in die niemand investiert, die niemanden interessiert. In Breitenberg wird an der Straßenbeleuchtung gespart. Das Dorf ist am Spätnachmittag in völlige Düsternis getaucht, kein Mensch ist auf den Straßen, unsichtbare Schweine schreien, es stinkt nach Silage.

Im Ortskern erhebt sich ein jämmerlicher gekreuzigter Jesus inmitten der letzten verfrorenen Stiefmütterchen. Daß die BreitenbergerInnen strenggläubige Katholiken sind, erfahren wir auch in einer der beiden Dorfkneipen, in die wir inzwischen eingekehrt sind. „Hier geht noch jeder regelmäßig in die Kirche“, erzählt uns die Wirtin; nein, Karteileichen, die gibt es nicht. Unser Ausflug wird durch die unüberhörbar schrillen Glocken von „Maria Verkündigung“ beendet. Raus aus der Kneipe, rein in die Kirche, die sogar an diesem gewöhnlichen Wochentag rappelvoll ist.

Die Messe beginnt. Schamhaft in die letzte Reihe gesetzt, sehen wir auf demütig gesenkte beige und moosgrüne Wollmützen, auf die vielen Kerzen zu Ehren Marias: „Mutter der Schmerzen, bete für uns.“

Die Welt ist klein in Breitenberg, aber die Welt, sagt Pastor Jan van der Brule zu Beginn, ist auf Breitenberg aufmerksam geworden. Die Gemeinde nickt, steht auf, kniet nieder; in der Litanei geübt, murmeln Pastor und Gemeinde den monotonen Wechselgesang der Liturgie. Auf den hellbraunen Sandsteinquadern des kargen Kirchenschiffs erscheinen regelmäßig silbrig schimmernde Zahlen. Schnell begreifen wir, daß nicht göttliche Weisung, sondern ein Diaprojektor im Spiel ist: 714, ein Kirchenlied, muß jetzt abgesungen werden.

Das Mikrophon des Priesters quietscht und knistert. Technisch nicht versiert, denken wir sofort an eine Rückkopplung: Über der lebensgroßen Christusfigur am Altar, die schwungvoll aus einer blauen Mandorla hervortritt, befindet sich nicht nur, wie Kunstverständige vermuten werden, das Tabernakel, sondern auch ein streichholzschachtelgroßer Piratensender. Seit nunmehr drei Jahren verbreitet dieser auf UKW-Frequenz das gottesdienstliche Geschehen in einem Umkreis von 800 Metern. Der Spätberufene Jan van der Brule ist dank seiner Ausbildung zum Fernmeldemechaniker auch in irdischen Dingen bewandert. Der Hobby-Funker hat mittlerweile den dritten Sender gebastelt, um bettlägerigen Alten und Kranken die heilige Botschaft vermitteln zu können.

In der Bevölkerung hat der wendige Holländer damit großen Erfolg. Angeblich hören die Breitenberger - durchaus nicht im Sinne des Erfinders - sogar am sonntäglichen Stammtisch die Predigt-übertragungen: Hartgesotten führt man sich zwischen Doppelkopf und Underberg Klerikales zu Gemüte.

Die sinnlichen Eindrücke des Kirchganges gehen dadurch natürlich verloren: Schließlich ist es fast schöner als Fernsehen, wenn Pastor van der Brule unter dem Triangelgeläute und dem Weihrauchampelgeschwenke der Meßdiener seine Hostie gen Himmel reckt. Die Gläubigen dürfen jetzt aufstehen, sie reichen einander die Hände. Gespannt warten alle auf die Worte, die der Priester uns am Schluß mit auf den Weg geben wird. Denn das Presseamt des Generalvikariats hat dem Priester verboten, offiziell zu der Sache, die in die Breitenberger Analen eingehen wird, Stellung zu nehmen: Besagter Minisender wurde bereits das zweite Mal von Polizei- und Postbeamten beschlagnahmt. Das Betreiben eines derartigen Senders verstößt, wie jener kundige Anonymus weiß, der die Angelegenheit zur Anzeige brachte, gegen das niedersächsische Rundfunkgesetz.

Daß die Beamten so völlig pietätlos ins Gotteshaus eindrangen, verursachte in Breitenberg einen kleinen Aufruhr. Der Gemeinderat beschloß sofort eine Unterschriftensammlung zur Unterstützung des inkriminierten Priesters. In die Listen trugen sich bisher über 700 der 815 Katholiken des Dorfes ein - eine Bilanz, von der „Freiheit -für„-/„Weg-mit„-Unterschriftenaktivisten nur träumen können.

So findet Priester van der Brule am Schluß der Abendmesse für seine Gemeinde tröstende Worte. „Wir werden weiter senden“, berichtet er. Nichts könne ihn davon abhalten, seine seelsorgerischen Pflichten wie bisher wahrzunehmen, er habe keine Angst vorm Staat. Letztlich war es dann vergangene Woche auch nicht der Staat, sondern die Kirche, die den renitenten Geistlichen zum Einlenken zwang. Der Generalvikar der Diözese Hildesheim erteilte das Funkverbot, dem sich van der Brule und seine Gemeinde, die immer noch „wie ein Mann“ hinter ihm steht, vorläufig beugen mußten.

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