: „Ich fühlte mich unter Druck“
■ Gedächtnisprotokoll Kai, Verfasser des Artikels zur Militärparade
Donnerstag, 22.September, EOS „Carl von Ossietzky“ Berlin, Klasse 11 (5), 9.10 Uhr, Informatik-Unterricht.
Die Lage schien sich beruhigt zu haben und zum Guten zu wenden, nachdem Herr Forner (Direktor der Schule, d. Red.) seine Bereitschaft zum Dialog bekräftigt und ich mit der Aushändigung der Unterschriftenliste mein Vertrauen bekundet hatte.
Ohne Ankündigung holt mich Frau Lange (Klassenleiterin) aus dem Unterricht zum Direktor in einen Raum, wo mir folgende Personen gegenüber saßen: Herr Forner, die GOL(Grundorganisationsleitung, d.Red.)-Vertreter Thomas Hammer und Thomas Tanneberger, Frau Lange und zwei Personen , die mir nicht vorgestellt wurden. An einem anderen Tisch saß eine weitere Person, die sich mir ebenfalls nicht vorstellte.
Als erstes stellte Herr Forner fest, daß ich mich an der Kundgebung für die Opfer des Faschismus mit einem eigenen Plakat beteiligt habe. Daraufhin stellte ich klar, daß ich mich in keiner Weise an der genannten Kundgebung beteiligte, was von Herrn Forner auch sofort akzeptiert wurde. Als zweites stellte Herr Forner fest, daß ich der Verfasser des Wandzeitungsartikels (zur Militärparade, d.Red.) und der Initiator der Unterschriftenliste sei. Das bestätigte ich folgerichtig.
Ich erklärte, daß ich die Unterschriftensammlung nach wie vor als ein geeignetes Mittel ansehe, meine Meinung zu äußern. Den Vorwurf der Ungesetzlichkeit habe ich zwar gehört, jedoch als nicht begründet angesehen. Ich sprach mich für mehr Demokratie im sozialistischen Staat (Versammlungsrecht etc.) und weniger Polizeiwillkür (Recht auf Auflösung einer friedlichen nicht genehmigten Versammlung) aus. Die Frage, wofür ich mich versammeln wolle, wies ich als äußerst lächerlich und für das Ende des 20.Jahrhunderts unzeitgemäß zurück, da es sich bei der Versammlungsfreiheit um ein demokratisches Grundrecht handele.
(...) Man legte mir zur Last, daß ich mich mit meiner Frage nicht an kompetente Leute gewandt habe. Ich berichtigte, daß es sich hier nicht um eine Frage, sondern um eine klar formulierte Meinung handelt.
Ich sprach mich dagegen aus, daß die Kindergärten angehalten werden, Kriegsspielzeug zu kaufen, da in einem Kind, das wertungsfrei damit spielt, die Assoziation Panzer
-Spiel ausgeprägt und im Unterbewußtsein festgesetzt wird. Ich fände es unverantwortlich, ein Kind derartig zu beeinflussen. Man entgegnete mir: „Das hört sich aber sehr pazifistisch an!!!“ Das Kindergarten-Kind müsse doch wissen, wo sein Feind steht!
Im Ergebnis wurde mir mit Hinweis auf die Treuepflicht, die ich verletzt hätte, indirekt gedroht, mich von der Schule zu relegieren für den Fall, daß ich meine Meinung nicht ändere. Ich muß sagen, daß ich mit einer Verfahrensweise konfrontiert wurde, die nicht den geringsten Versuch bedeutete, mich von eigenen Fehlern zu überzeugen.
Vielmehr mußte ich mich eine Stunde lang gegen Verleumdungen wehren und für alles, was ich getan, Erklärungen geben. Ich fühlte mich durch die Anschuldigungen einerseits und durch die inquisitorische Aufforderung andererseits unter psychischen Druck gesetzt. Ich habe zu keinem Zeitpunkt Einblick in die dort angefertigte Protokolle erhalten können.
Am 1.Oktober 1988
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