: Freiheit für 'Sputnik‘
■ 20jähriger demonstrierte in Ost-Berlin gegen Verbot der sowjetischen Zeitschrift / Von der Volkspolizei abgeführt
Berlin (taz/ap) - Das Vertriebsverbot der sowjetischen Zeitschrift 'Sputnik‘ stößt in der DDR-Bevölkerung auf zunehmenden Unmut. Den ersten öffentlichen Protest bekundete am Dienstag nachmittag ein etwa zwanzigjähriger junger Mann. Mit dem selbstgemalten Transparent „Freiheit für Sputnik“ und „Für eine freie Presse“ hatte er sich nahe des Ostberliner Fernsehturms in einem belebten Füßgängertunnel postiert, um seinem Unmut über die neueste Zensurmaßnahme der DDR-Staatsführung Luft zu machen. Die Aktion für die Freiheit der Bruderpresse dauerte allerdings nur wenige Minuten. Wie Augenzeugen beobachteten, wurde der Mann kurz darauf von zwei uniformierten Volkspolizisten abgeführt. Über seinen weiteren Verbleib ist nichts bekannt.
Nach den sowjetischen Medienverboten haben die DDR-Behörden jetzt auch Veranstaltungen in Kulturhäusern und Jugendclubs zur sowjetischen Perestroika-Politik auf den Index gesetzt. So wurde u.a. im Ostberliner Club der Kulturschaffenden eine Diskussion mit dem Marburger Historiker Kühnl untersagt. Er sollte zum Thema „Die Diskussion um Perestroika in Westdeutschland“ referieren. Die Wochenzeitung des DDR -Kulturbundes 'Sonntag‘ mußte auf Anweisung eine Seite kippen, auf der Kritiken zu sowjetischen Filmen erscheinen sollten.
Mit Abbestellungen von DDR-Zeitungsabonnements reagierten unterdessen andere DDR-Bürger auf das 'Sputnik'-Verbot, das zur Zeit das Diskussionsthema Nummer eins ist. Sogar in Parteikreisen wird, wenn auch bislang nur unter der Hand, Kritik geübt. Betriebsgewerkschaftsgruppen haben Protestbriefe an die Agitations- und Propagandaabteilung des SED-Zentralkomitees geschickt. Protestbriefe sollen auch SED -Chef Honecker und das Ministerium für das Post- und Fernmeldewesen erhalten haben, das die Verbotsmaßnahme veranlaßte. In anderen Bevölkerungskreisen ist der Spott unüberhörbar geworden: Gewartet wird jetzt, wann das sowjetische Parteiorgan 'Prawda‘ verboten wird. DDR -Zeitungen reagierten gestern nicht auf die deutschsprachige Meldung von Radio Moskau, daß es sich bei dem 'Sputnik' -Verbot um ein „Mißverständnis“ gehandelt habe. Wie berichtet, hieß es dort, daß die Artikelsammlungen des 'Sputnik‘ „nur den Pluralismus der Meinungen“ wiedergäben. Radio Moskau drückte die Hoffnung aus, daß „dieser bedauernswerte Zwischenfall mit der Zeit geregelt“ werde. Noch am vergangenen Dienstag war in der Zeitung 'Die Wahrheit‘, die vom Westberliner SED-Ableger, der SEW, herausgegeben wird, eine Anzeige für 'Sputnik‘ erschienen. Im Buchladen „Eurobuch“, der die Anzeige geschaltet hatte, ist die 'Sputnik'-Ausgabe nur noch als Fotokopie zu erhalten.
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