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Bilder aus einer fremden Freundschafts-Stadt

■ Teil III: Ein kaltgestellter berühmter Schriftsteller, historische Gemäuer unter jedem Platz, zehnstöckige Beton-Klötze für 200.000 Menschen und die „kleine Korruption“ des zweiten Bürgermeisters

„Bitte entschuldige, ich war gestern so vorsichtig, aber wir haben alle Angst“, erklärte mir ein Slowake beim zweiten Zusammentreffen. Den freundlichen jungen Mann in der Hauptstadt der Slowakischen Sozialistischen Republik, Bratislava, bringt der Kontakt mit „westlichen“ Journalisten in eine völlig ungewohnte Lage. Dieses darf auf keinen Fall geschrieben werden und sowieso nur ohne Nennung des Namens und auch das nicht, was eventuell einen Rückschluß auf die Urheber geben könnte... Er nennt es „Selbstkontrolle“, dieses auferlegte und tief verinnerlichte Schweigen. Er erklärt es mit der drückenden sowjetischen Unterdrückung, die nach 1968 in einer zweiten Welle über das Land ging. Der Name „Breschnew“ steht in der Tschecheslowakei für das Schlimmste, was einem blühen kann. Aber seit einigen Jahren herrscht Breschnew nicht mehr, die Sowjetunion öffnet sich, in der Tschechoslowakei scheint die Breschnew-Ära eine hausgemachte Fortsetzung zu finden.

Hoch über dem Stadtkern auf einem der umliegenden Hügel ist die Adresse eines der renommiertesten slowakischen Schriftsteller, Dominique Tadarka. Er ist alt geworden, krank, aber sein Französisch ist noch fließend. Noch Anfang der 70er Jahre mußten SchülerInnen in den höheren Klassen seine Bücher lesen. Früher reiste er gern, kannte sich in ganz Europa aus - 1968 wurde ihm der Paß weggenommen, die

Polizei hat ihn regelmäßig zu Verhören besucht, das Haus beschattet. Gedruckt wurde nichts mehr von ihm, nur im Westen erschienen einige Bücher. Tadarka ist heute abgeschnitten, einsam, kommt praktisch nicht aus dem Haus heraus. Die jüngeren Slowaken lernen nichts mehr von ihm, selbst die Bewegung der Naturschützer will nichts von den 68'er „Dissidenten“ wissen, zumal einem Kontakt die Ausgrenzung in die Schublade „Agent des kapitalistischen Westens“ folgen kann.

Zwischen Wien

und Budapest

Preßburg, das frühere Bratislava, war einmal eine kommunikative Transit-Stadt - ganz früher lag es an der Furt, an der die Handelsleute bequem die Donau überqueren konnten. Im 19. Jahrhundert lag Wien wenige Kilometer westlich über die Donau, Budapest ein paar Stunden gen Süden. Heute ist das Städtedreieck zerschlagen. Richtung Wien ging 3 Kilometer vor der Stadt der eiserne Vorhang herunter, und seit einigen Jahren kann man nicht einmal mehr frei nach Ungarn fahren: Zwei Reisen pro Jahr sind erlaubt, aber jedesmal sind nur 700 ungarische Forint an Devisen zu haben - das sind wenig mehr als 100 Mark.

Perestroika? Das Wort kommt vor, die Sache nicht. In der CSSR hat es vor einigen Wochen einen

Wechsel an der Spitze der Regierung gegeben, dessen Hintergründe niemand versteht, der aber nichts Gutes zu versprechen scheint - ängstlich warten auch Parteifunktionäre ab, woher der Wind wehen wird. Keiner aus jener „Zunft“ diplomierter oder promovierter Straßenbahn -Fahrer, Heizer oder Fensterputzer ist rehabilitiert, kann aus der verordneten Isolation gegenüber anderen Menschen ausbrechen und sich einen seiner Qualifikation entsprechenden Beruf suchen.

Immerhin wurde der Leiter des Konzerns Kablo kürzlich gewählt. Es gab drei Kandidaten: den alten Leiter, einen Vertreter aus dem Ministerium, einen jungen Ingenieur. Gewählt wurde letzterer.

Der stellvertretende Bürgermeister Pavel Kovac, der die bremische Journalistengruppe empfing, ist ein offen denkender Mann. Er räumt die Probleme der Stadt offen ein: die Archäologie ist in Bratislava, wo unter jedem Platz historische Gemäuer zu finden sind, erst zehn Jahre alt. Soviele historisch wertvolle Gebäude wie in Bratislava gibt es weder in Wien noch in Budapest - aber 40 Jahre lang wurde nichts für sie getan. Die alten Gebäude sind in einem katastrophalen Zustand. Für das 700-Jahre-Jubiläum der Stadt wird seit einiger Zeit aber zumindest in dem historischen Stadtkern überall geputzt,

gestrichen und repariert.

Eine geschiedene

Schlafstadt

Lange Jahre herrschte dramatische Wohnungsnot, der die Bauindustrie nicht nachkam. Am anderen Donau-Ufer entstand deshalb in kürzester Zeit der Stadtteil Petrzalka, 200.000 Menschen wohen dort - ohne Kino, ohne kulturelle Zentren eine Schlafstadt, lang hingezogene, rechteckig angeordnete acht- bis zehnstöckige Beton-Klötze. Morgens und abends stehen die Busse auf der Donau-Brücke Schlange. Der Bürgermeister Kovac ist „nicht zufrieden mit der Architektur“. Zwar sei auch städtische Infrastruktur vorgesehen - nur kämen die Baufirmen nicht nach. Und der Wohnungsbedarf steigt weiter: 20.000 unbefriedigte Wohnungs -Anträge liegen in den Ämtern. In Petrzarka, erläutert der Bürgermeister, liegt die Scheidungsrate bei 60% - und jede Scheidung kostet den Staat 100.000 Kronen und wenn dann eine zweite Wohnung erforderlich wird, kommen nochmal 200.000 Kronen hinzu.

Nur kleine Korruption

Der Bürgermeister Kovac erkundigt sich interessiert nach dem Bremer Rundfunksender. Er selber war früher Chef des Senders in Bratislava. In der Stadt kursiert eine besondere Version darüber, warum er nicht direkt vom Rundfunk auf den neuen Posten wechseln konnte, und die geht so: Zu Kovac‘ Zeiten baute der Rundfunk ein modernes neues Gebäude, und Kovac ein Privathaus. Baustoffe seien abgezweigt worden, ein paar Arbeiter, und das Mittagessen dazu. Die Geschichte hätte vielleicht ein gutes Ende gefunden, wäre nicht das Auto mit dem warmen Essen zu

erst bei der Privat-Datsche und dann zum Rundfunk gefahren. Die Arbeiter wollten sich eigentlich nur über die kalte Speise beschweren... Ein Parteifunktionär, auf die Geschichte angesprochen, lacht herzlich: „Er hatte da ein Problem, aber es war nur eine kleine Korruption.“

Umweltprobleme

Der Bürgermeister ist auf die westlichen Fragen nach dem Umweltschutz vorbereitet. Die Busse sollen auf elektrischen Betrieb umgestellt werden, bleifreies Benzin gibt es noch nicht, aber „wir arbeiten daran“. Die Luft ist nicht so schlecht, zwar wehe schon von Wien vieles herüber, aber der Wind treibe die Luft schnell weiter. Die Chemieindustrie, die noch mitten in Wohngebieten liegt, soll aus der Stadt hinausverlagert werden, so steht es in den Plänen.

Proteste der Umweltschützer gibt es gegen das gigantische Projekt eines Donau-Stausees? Kovac erklärt, die gebe es auf ungarischer Seite, nicht jedoch auf der slowakischen: „Ich weiß davon nichts.“ Der Fluß soll für die Schiffahrt zum Kanal gemacht werden, gleichzeitig soll er nachts auf zig Kilometer aufgestaut werden, um tags über ein gigantisches Wasserkraftwerk für die Industrie Strom zu liefern. Das Projekt ist vom „International River Network“ unter die 20 größten Verbrechen an natürlichen Wasserläufen aufgenommen, einzigartig in Europa. Dem Grundwasser-Reservoir unter Sandschichten tief im Donautal, von dem Millionen Menschen leben, drohen ungeahnte Gefahren.

Die slowakischen Umweltschützer haben „Exkursionen“ organisiert, Schweigemärsche, Argumente gesammelt, den Behörden wissenschaftliche Unter

suchungen geschickt, die Einrichtungen eines Naturschutz -Parks längs der Donau und ihrer Nebenflüsse gefordert vergeblich.

„Die Grünen“

Ihre ökologische Kritik haben einige Dutzend Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen vor einem Jahr in einer 60seitigen Broschüre „Bratislava nahlas“ (deutsch wörtlich: „Bratislava laut“) zusammengefaßt. Der 2. Bürgermeister hat diese Broschüre intensiv gelesen, sein Planungs-Leiter ebenso. Zu den wissenschaftlichen Kritikern gehören auch Mitarbeiter staatlicher Institute, die ihre Ergebnisse in offiziellen Untersuchungen nicht unterbringen können. Kovac nennt ihre Broschüre nur „das grüne Buch“. Grün ist in der Tschecheslowakei eine gebräuchliche Diskriminierung, etwa wie für die deutsche CDU die Farbe rot. Kovac findet das „grüne Buch“ so negativ, „daß man gleich Selbstmord begehen könnte - aber wir leben in dieser Stadt“. Einen offiziellen Dialog mit den Autoren hat es noch nicht gegeben. Kovac nennt den Bremer Journalisten auf Nachfrage aber ganz offiziell eine Kontaktadresse.

Wielange würde es dauern, was würde es kosten, die Qualifikation der menschlichen Arbeitskraft, die Arbeitsmotivation wiederherzustellen, die Zerstörung der Natur auch nur einigermaßen zu stoppen? „Innere Schulden“ nennen die Naturschützer gern das, was in einer Nachkriegs -Generation an Problemen aufgehäuft wurde. Gesellschaftlicher Reichtum, der diesen „Schulden“ gegenübersteht, wurde nicht geschaffen, stattdessen wurde die Armut gleichmäßig verteilt.

Klaus Wolschner

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