: Von den „Objektiven“
■ Besuch bei den Blau-Weiß-90-Fans von Block 26 / „Get your kicks in block twentysix“ / Unterschiedliche Fan-Gemeinden: vom Intellektuellen bis zu Klaus, dem Bierholer
„Schalke! Schalke! Schalke!“ wird von drüben geschrieen. „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ echot nicht ganz richtig - na wer schon? - der Block 26. Vom Haupteingang nach rechts, ein paar hundert Meter durch den schwerlastigen Säulengang des Olympiastadions, die Treppe rauf zum Oberring, und schon bist du dabei.
„Wir sind die Objektiven!“ sagt der platinblonde TU-Bergbau -Student und verweist damit auf den Unterschied zwischen seinem Block und dem harten Kern der Blau-Weiß-Fan-Gemeinde, der nur wenige hundert Meter links grölend im Unterring steht. „Get your kicks in block twentysix.“
Die Objektiven - jawohl! - das sind jede Menge Studenten aller Kategorien und Fachbereiche, vom seriösen Intellektuellen mit roter Hornbrille und dem Armani-Jackett bis hin zu den Jesus-Freaks, die ihr Müsli gegen weiße Plastikbecher voll mit Schultheiss eingetauscht haben. Dann ist da noch die Werner-Clique mit ihrem traditionellen Bierholer, Klaus. Klaus eroberte sich seinen Status, indem er in einem der wesentlichsten Blau-Weiß-90-Spiele letzte Saison just in dem Augenblick Bier holen war, als zwei Tore für Blau-Weiß fielen. Seitdem kommt es für ihn nicht mehr drauf an, meint die Werner-Clique.
Natürlich gehört auch der Mann von nebenan mit dazu, der sich standesgemäß mit Taxifahrermütze im Schottenmuster und der obligatorischen Busfahrerbrille kleidet; das gleiche gilt für den Racker hinter dir, der seine rote Plastiktröte, die liebevoll mit Isolierband auf eine enorme Fußluftpumpe geklebt ist, wahlweise in dein linkes oder rechtes Ohr bläst.
Die Objektiven sind heftig am Diskutieren und Gestikulieren, aber man ist sich einig: „Schalke ist Scheiße!“ Wer möchte das bestreiten, schließlich führt Schalke seit 15.33 Uhr mit einem Tor. Es wird immer dunkler an diesem Sonnabend, und der Schiedsrichter ist ein Schieber, der einen Handelfmeter nicht gepfiffen hat und reichlich Gelb gegen Blau-Weiß zückte. „Ick kann's nicht fassen, dieser Schieber!“ So beschließt man, ihn auf den rechten Pfad der Regelkunde zurückzuziehen, springt auf, wirft die Faust in seine Richtung und brüllt: „Foul!“, „Hand!“, „Aus!“ und weitere wichtige Beschwörungen.
Der Regentanz wirkt, es war der richtige Zauber: Endlich fallen die dicken Konfetti-Flocken in einen dichten Teppich auf Block 26 nieder, zwei Männer von der hinteren Bank fallen zwei Reihen weiter nach vorne, sonst steht alles auf den Beinen und tanzt im Regen, Wunderkerzen brennen - nein, wir sind nicht auf der Thanksgiving-Parade in New York - wir feiern Blau-Weiß‘ Ausgleichstref fer zum 1:1 gegen Scheiße... Entschuldigung, Schalke04.
Peter Pawlack
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