: Überwachungsstaa(d)t Berlin: „Helles Entsetzen“
■ Die Bespitzelung von taz, AL und SPD durch den VS von Diepgen nicht rundweg dementiert / Empörung bei Betroffenen und im Parlament
Die Vorwürfe des SPD-Vorsitzenden Walter Momper, AL, taz und Teile der SPD seien zum Teil systematisch vom Verfassungsschutz überwacht worden, wurden vom Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen nur zögerlich zurückgewiesen. „Einige wenige Punkte“, so räumte Diepgen in einem gestern bekanntgewordenen Antwortbrief an Momper ein, bedürften der Aufklärung, um die er inzwischen Innensenator Kewenig gebeten habe. Weitgehend aber, so Diepgen weiter, handle es sich um Vorgänge und Verhaltensweisen, die bereits eingehend erörtert und geklärt worden seien. Dabei seien mitunter „Grenzziehungen“ hinsichtlich Art und Umfang der Auskunftserteilung unumgänglich.
Entscheidend ist: Diepgen dementiert die Behauptungen nicht, die die SPD erhoben hat. Der Regierende verhält sich damit wesentlich zurückhaltender, als es der Landesgeschäftsführer der Christdemokraten und Busenfreund, Klaus Landowsky, tut. Der sprach gestern von „Wahlkampfmüll der SPD“. Er glaube nicht, daß die taz oder die AL mit nachrichtendienstlichen Mitteln abgehört werde, das sei „lächerlich“, und er nehme das „gar nicht ernst“.
Sehr ernst allerdings nimmt es die Alternative Liste. Jetzt sei endlich beweisbar geworden, so gestern Fraktionsvorsitzender Wolfgang Wieland, daß Innensenator Kewenig die Unwahrheit gesagt habe, als er im vergangenen Jahr mehrfach dementiert habe, daß der AL Wanzen zwischen die Stacheln gesetzt worden seien. Wieland fordert jetzt für die Alternative Liste uneingeschränkte Akteneinsicht und die volle Aufdeckung der Spitzeleien des Verfassungsschutzes.
Für den FDP-Abgeordneten und Mitglied im Landesvorstand seiner Partei, Michael Tolksdorf, ist die Bespitzelung der taz, wie sie der 'Spiegel‘ berichtet, eine „absoluter Skandal“. Er findet es „unmöglich“, daß eine Zeitung, die zur regelmäßigen Lektüre der Parlamentarier gehöre und die selbstverständlich im Pressedienst ausgewertet werde, Gegenstand des Verfassungsschutzes sei.
Mit „hellem Entsetzen“ hat die Deutsche Journalisten Union, dju, die Praktiken des Verfassungsschutzes zur Kenntnis genommen. Nicht nur, daß die Behörde es „normal“ finde, Journalisten für ihre Zwecke anzuwerben, jetzt müsse man davon ausgehen, daß mehrere Dutzend systematisch beobachtet worden seien. Die dju fordert von Innensenator Kewenig, alle Akten sofort zu prüfen und die Ausforschung von Journalisten einzustellen.
bf
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