: Startbahn-Anwälte: 129a-Anklage konstruiert
Die Anwälte von Reiner Hübner und Andreas Sämisch halten die 129a-Anklage gegen ihre Mandanten für eine „reine Fiktion“ / Fragwürdiges linguistisches Gutachten einziges Beweismittel / Bundesanwaltschaft will „keinen Türken gezaubert“ haben ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) - In einer gemeinsamen Erklärung werfen die Frankfurter Rechtsanwälte Seifert, Scherzberg, Viergutz und Kronauer der Bundesanwaltschaft vor, die 129a-Anklage gegen ihre Mandanten „konstruiert“ zu haben. Mit diesen Vorwürfen reagierten die Anwälte der im sogenannten Startbahnverfahren angeklagten Startbahngegner Reiner Hübner und Andreas Sämisch auf die Zulassung der Anklage gegen ihre Mandanten durch den „Staatsschutzsenat“ am Frankfurter Oberlandesgericht.
„Andreas Sämisch und Reiner Hübner, die beide keine Angaben bei der Bundesanwaltschaft und dem Strafsenat gemacht haben, werden von der Anklagebehörde dringend benötigt, um das Konstrukt einer terroristischen Vereinigung mit den anderen angeblichen Mitgliedern Andreas Eichler und Frank Hoffmann aufrechterhalten zu können, weil unverzichtbares Merkmal für die Vereinigung im Sinne des Paragraphen 129a StGB mindestens drei Personen sind“, heißt es in der Erklärung.
Im einzelnen führen die Anwälte aus, daß ihrem Mandanten Hübner von der Bundesanwaltschaft die Beteiligung an drei Anschlägen auf Strommasten in der Zeit von Juni bis August 1986 vorgeworfen werde. Für die Zeit nach dem August 1986 könne Hübner dagegen von der Bundesanwaltschaft keine konkrete Tatbeteiligung nachgewiesen werden, so daß der erweiterte Paragraph 129a - der ab Ende 1986 auch das „Umlegen“ von Strommasten als Tat einer terroristischen Vereinigung wertete - im Falle Hübner nicht zur Anwendung kommen könne. Vor der Erweiterung des einschlägigen Paragraphen konnten Menschen, denen das Umsägen eines Strommastes zur Last gelegt wurde, „nur“ als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung angeklagt werden.
Daß die Bundesanwaltschaft im Falle Hübner dennoch an dem „Konstrukt“ der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festhalte, werten die Anwälte als Indiz dafür, daß die Bundesanwaltschaft beabsichtige, ihren Mandanten über den „konstruierten Vorwurf“ der terroristischen Vereinigung - zusätzlich den „Ruch des Bösen“ anzulasten. Denn die anderen Mitglieder dieser angeblichen terroristischen Vereinigung seien schließlich die wegen Mordes und Mordversuches an Polizisten angeklagten Startbahngegner Andreas Eichler und Frank Hoffmann. Noch „dünner“ sei die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft im Falle von Andreas Sämisch, dessen Haftbefehl im Mai 1988 vom Amtsgericht Hanau wegen fehlender Beweise für die Sämisch zu Last gelegten Taten aufgehoben worden war.
Zuvor hatte schon die Bundesanwaltschaft das Verfahren gegen Sämisch „hinsichtlich der meisten Anklagepunkte“ eingestellt. Im Juli 1988 wurde Sämisch allerdings erneut in Haft genommen, nachdem die Bundesanwaltschaft - nach einem vom Bundeskriminalamt angefertigten linguistischen Gutachten - glaubte beweisen zu können, daß Sämisch der Autor von insgesamt vier Bekennerschreiben zu Strommast- und Brandanschlägen gewesen sei. Darüber hinausgehende Beweise für eine Tatbeteiligung Sämischs, so seine Anwälte, gebe es nicht.
Obgleich ein linguistisches Gutachten - auch nach Auffassung seriöser Sprachwissenschaftler - einer „Kaffeesatzleserei“ gleichkomme, stützen sich Anklage und Haftbefehl gegen den Startbahngegner einzig auf dieses Gutachten. Dennoch hat der 5.Strafsenat am Oberlandesgericht Frankfurt, vor dessen Kammer der Startbahnprozeß im Februar 1989 eröffnet werden wird, im Oktober 1988 bei einem mündlichen Haftprüfungstermin die Fortdauer der U-Haft für Sämisch angeordnet. Die Anwälte werfen dem Strafsenat deshalb vor, blind den Anträgen der Bundesanwaltschaft gefolgt zu sein. Die Bundesanwaltschaft wies auf Nachfrage alle Vorwürfe der Anwälte unisono zurück. Gegenüber der taz erklärte BAW-Sprecher Alexander Prechtel, daß es die Bundesanwaltschaft nicht nötig gehabt habe, „Türken zu zaubern“. Die Anklage sei „nach bestem Wissen und Gewissen erhoben worden“.
Im Falle Sämisch mußte Prechtel allerdings einräumen, daß die Bundesanwaltschaft die Einbindung des Angeklagten in die angebliche terroristische Vereinigung „nicht ganz so beweisen könne“, wie das beim Nachweis anderer Delikte der Fall sei. Allerdings hätten sich in Sachen 129a-Anklage „neue Erkenntnisse ergeben“.
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