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Neue Verfassung

■ Debatte macht der Perestroika Beine

Sowjetbürger wissen wohl besser als andere Menschen, daß auch die besten Verfassungen nicht das Papier wert zu sein brauchen, auf dem sie stehen. Unter Stalin garantierte die Verfassung alle Freiheitrechte, der Archipel Gulag war ihr Hohn. Bürokratie und Staat schwebten über der Gesellschaft und waren jeglicher Kontrolle entzogen. Verfassungswirklichkeit und Verfassungsinhalte waren weit voneinander entfernt.

Jetzt soll alles anders werden. Die Bevölkerung soll wieder Vertrauen gewinnen und repräsentiert sein im System. Mit der Wählbarkeit und Stärkung der Sowjets, mit der Trennung von Staat und Partei wollen die Reformer den Grundstein für die neue Sozialistische Demokratie legen. Gegen die Widerstände in Partei und Staat hat Gorbatschow eine Debatte ausgelöst, die jetzt die „Massen“ ergriffen hat. Und das nicht immer so, wie er es sich wünscht.

Denn mehr und mehr werden die Versprechungen der Perestroika beim Wort genommen und die Widersprüche des neuen Entwurfs aufgezeigt. Wollen die Reformer in Moskau immer noch die Zentralisierung der Entscheidungen – wenn auch in rationalerem Gewand als vorher –, so drängen manche Republiken zur Dezentralisierung der Macht.

Die Esten haben gezeigt, daß es möglich ist, dem Druck aus Moskau zu widerstehen. Sie wollen nicht neue Gesetzeswerke, die zwar die bestehende Praxis effektivieren, aber prinzipiell nicht verändern, sondern sie wollen endlich, daß die in den alten Verfassungen verbrieften Rechte der Republiken verwirklicht werden. Und viele Menschen wollen nicht nur eine neue Effizienz des Staates, der Polizei, des Gefängnissystems und der Wirtschaft, sondern die Garantie der Grundrechte. Und davon ist die auch die neue Verfassungswirklichkeit noch entfernt. Erich Rathfelde

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