: Erich Fried-betr.: "...und Erich Fried und...", taz vom 25.11.88
betr.: “...und Erich Fried und...“, taz vom 25.11.88
Dichtkunst - darüber könnte ich viel schreiben, vielleicht auch das Gedachte dichten, doch hier nur eines: Wolf Biermann, Du solltest singen und-oder-auch schweigen zum Tode Deines Freundes, denn Deine Sprache ist so laut und so „gedeugt“ - mich hat Dein Text nicht überzeugt.
Willst Du den Freund belehren, noch über seinen Tod hinaus? Tote, auch tote Dichter, können sich nicht wehren. Sing Du Dein Lied am Grabe, ich hör Dir zu, sollst Lieder machen, doch rede nicht um Dichters Sachen - die lese ich mir selber.
Und überhaupt, auch Deine Lieder sind - in Deinem Sinne Gedachtes, nicht mehr und nicht weniger, doch was macht es. Ich höre ihnen gerne zu, dem Sänger und dem Dichter; der eine lebt, der andere fand übers Leben Ruh - Gedachtes will ich, es gehört dazu, die Meinung bilde ich mir selber.
Sing Deinem Freund - als letzten Gruß - ein Lied aus seiner Feder.
Siegfried Kopf, Stade
Biermann bedauert, daß Erich Fried 1968 seine Arbeit bei der BBC an den Nagel hängte und sich aufs Gedichteschreiben konzentrierte. Warum? Weil Biermann zufolge Fried nicht Gedichte schrieb, sondern nur „Gedachte“. Wie Fried dachte, fühlte und (ver-)dichtete, interessiert den Dichterkollegen nicht. Daß Fried mit einfachen und auch kargen Sätzen eine spezifische Dichte eingreifender Poesie erzeugte, kann Biermann nicht wahrnehmen. Statt Frieds Arbeit nachvollziehbar zu beschreiben und zu analysieren, fällt er ein Geschmacksurteil. Im Grunde spricht Biermann nur von sich, auch in der Form eines Nachrufs: leider konnte Fried nicht so dichten wie Biermann!
Nach Biermanns letztem „Gläschen-Glasnost-Konzert“ in Westberlin wurde mir klar, warum er auf Erich Frieds Volksuni-Brief an die Redaktion der 'Iswestija‘ nur mit abfälliger Herabsetzung (“?a ne pisse pas loin“) reagieren konnte. Mit „Poesie“ hatte das gar nichts zu tun, denn Frieds Text zur Unterstützung der sowjetischen Perestroika ist kein Gedicht und will auch keines sein. Grundverschieden ist vielmehr die politische Haltung: die Bedeutung der revolutionären Reformen in der Sowjetunion für die Erneuerung des Sozialismus inspiriert Biermann nicht mehr. Im Konzert jedenfalls spürte man keinen Hauch einer konstruktiven Utopie. Die Aufarbeitung des Stalinismus beflügelte ihn ebensowenig wie der Versuch einer Deblockierung der sozialen Kräfte. Zu Glasnost fiel ihm nicht viel mehr ein als das Wortspiel (Glas-)Nostalgie und seine enttäuschten Hoffnungen in den sechziger Jahren. In der Wahrnehmung der aktuellen Umbruch-Zeiten dominiert das Selbstmitleid. Den von Brecht vorgeschlagenen Standpunkt, für die dringendsten Schwierigkeiten der menschlichen Gesellschaft die breitesten Lösungen zu suchen, habe ich nicht erkennen können. Biermanns Fähigkeit, leidenschaftlich im Politischen das Persönliche und im Persönlichen das Politische zu artikulieren, ist ihm ins Egozentrische gerutscht. Witzelnd überspielt er, daß ihm der Atem für ein hegemoniefähiges linkes Projekt hier und anderswo flach geworden ist.
Was bleibt ihm, als sich auf die Rolle eines Hüters der poetischen Kunstform zu versteifen?
Jan Rehmann, Berlin 61
Der umstrittene Fried-Text
Brief der Volksuni an die Redaktion der Iswestija
Mehr als drei Jahrzehnte lang haben wir die Sowjetunion aus der Ferne betrachtet. Das Chruschtschow-Interregnum weckte 1956 unsere Hoffnungen, aber nicht für lange Zeit. Heute steht die Sowjetunion wiederum an einem Kreuzweg. Wir haben das, was sich neuerdings dramatisch entfaltet, mit großem Interesse und großer Sympathie gesehen.
Mehr als je seit den zwanziger Jahren hat ein Mensch, der in der Sowjetunion an leitender Stelle steht, sowohl Massenunterstützung in seinem eigenen Land gewonnen als auch das Vorstellungsvermögen der übrigen Welt erregt. Der Erfolg von Glasnost und Perestrojka ist zweifellos lebenswichtig, um in Ihrem eigenen Land Politik und Wirtschaft neu zu beleben. Aber unterschätzen Sie, bitte, nicht die Wirkung, die Ihr Erfolg für die Wiedergeburt des Sozialismus im übrigen Europa und in beiden Teilen Amerikas haben könnte. Gorbatschow hat zu zeigen begonnen, daß sozialistische Demokratie weit mächtiger ist als Geschosse und Bomben.
Wir hoffen, daß er Erfolg haben wird, und wir schreiben Ihnen, um Ihre Leser zu informieren, daß Glasnost weit jenseits der Grenzen der Sowjetunion Unterstützer und Anhänger hat.
Aus: Das Argument 170, August 1988
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