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Stallgeruch gilt nichts mehr

■ Über den Machtverfall des gewerkschaftlichen Milieus / Ein Gespräch mit Walter Franke

„Ich habe noch erlebt, wie der Arbeitssenator im Gewerkschaftshaus bestimmt wurde“, erinnert sich Walter Franke - und redet sich in Rage. Der 62jährige Politiker, der derzeit als Honorarprofessor Studenten der Hochschule Bremen die Gesellschaftskunde lehrt und Chef des Reichsbundes ist, hat bessere Zeiten erlebt - von den 50er bis in die 70er Jahre waren in Bremen gewerkschaftlicher Stallgeruch und sozialdemokratische Regierungsmacht aufs engste verwoben.

Walter Franke kam 1957 unter Richard Boljahn in die Rechtsabteilung des DGB - von Bremen wußte er damals nur, daß es eine Hafenstadt und weltoffen sein sollte. „König“ Boljahn besetzte in den 60er Jahren neben dem DGB-Stuhl auch den des sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden und war Geschäftsführer der regionalen Neuen Heimat. Und als Boljahn über den „Baulandskandal“, eine Interessenvermischung von Neuer Heimat und politischer Macht stürzte, wurde der Betriebsratsvorsit zende bei der Werft AG „Weser“, Gustav Börnsen, neuer SPD -Fraktionsvorsitzender. 1971 übernahm Walter Franke diese Position, er war gleichzeitig Hauptgeschäftsführer der Arbeiterkammer und ÖTV-Vorsitzender in Bremen. Da wurden Gesetzentwürfe noch von einem Stab in der Arbeiterkammer und der damals gerade entstehenden „Kooperationsstelle Universität-Arbeiterkammer“ ausgearbeitet, schwärmt Walter Franke, „und durchgesetzt wurde es, weil ich Fraktionsvorsitzender war“.

Und heute? In der vergangenen Woche redeten die Gewerkschafter in der SPD dafür, daß das Arbeitsressort mit einem eigenständigen Senator besetzt wird - und finden nicht einmal dafür ausreichende Unterstützung in der SPD. Der DGB -Vorsitzende Möller, von dem alle erwarteten, daß er diese Position des Arbeitssenators anstrebte, hat seinen Namen gar nicht erst ins Spiel gebracht und wolle nur noch Geschäftsführer der Arbeiterkammer werden - das ist ihm attrakti- ver als - auf die Dauer - die Position an der Spitze der Gewerkschafter.

Walter Franke ist über das Bild, das die Gewerkschaften derzeit bieten, verbittert. Rüstungsproduktion auf dem Vulkan, Diversifikation, Friedenspolitik, Südafrika - „Hören Sie was?“ Die Gewerkschaften seien nicht mehr attraktiv für junge Leute, die Protestbewegungen artikulierten sich außerhalb. Die Gewerkschaften sehen die Sozialpolitik nicht in einer Gesamtschau mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik, denken nicht strategisch voraus: „Fragen Sie einmal im Gewerkschaftshaus nach 1992. Die wissen doch gar nicht, was da auf sie zukommt.“

Für den Politiker Walter Franke ist der Machtverlust der Gewerkschaften eine Folge falscher Politik. Auch der alte Richard Boljahn hatte seine Aversion gegen Akademiker, erinnert er sich: „Bei dem waren nur zwei akademische Berufe anerkannt: Mediziner und Juristen.“ Aber damals waren die gewerkschaft

lichen Positionen oft mit Leuten besetzt, die in der Nachkriegszeit keine Bildungs-Chancen hatten. Die Kinder dieser Gewerkschafter-Generation, die Mahlstedts, Duismanns und andere sind sozial aufgestiegen, studiert, manche „auf die andere Seite“ gewechselt - zumindest von der beruflichen Stellung. Boljahn junior ist Bankdirektor geworden.

Die Symbiose von gewerkschaftlichem Stallgeruch und sozialdemokratischer Machtelite gehört der Geschichte an. Der letzte DGB-Vorsitzende Erwin Schmidt wurde nach 14 Jahren Amtszeit in einem SPD-Ortsverein im Bürgerviertel Horn-Lehe gekippt. Und nach dem IG Metall-Chef Arno Weinkauf glaubt niemand mehr, daß ein Gewerkschaftsmann im Parlament gewerkschaftlichen Positionen Gewicht verleiht. In das nach dem Krieg wieder aufgebaute Gewerkschaftshaus am Bahnhof, das zum Verkauf steht, ist so wenig investiert worden, daß seit Monaten nur der Grundstückspreis dafür geboten wird.

K.W.

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