ROSEN HABEN DORNEN

■ „Lovely Rita“ in der Regenbogenfabrik

Haben Frauen eine Geschichte und wenn ja, welche? Drei Frauen versuchen, aus ihrem Rosentapeten-Gefängnis auszubrechen, indem sie sich Rita - und damit eine Vergangenheit - erfinden. Sie spielen Ritas Stationen nach, jede von ihnen ist Rita und jede von ihnen scheint das Spiel genau zu kennen, auf wenige Stichworte hin formieren sie sich zu den Szenen. Es ist eine blutige und gemeine Geschichte, die sie am Ende im Stich lassen wird.

Meine Stadtbücherei hat versagt, als ich mir in letzter Minute den Text besorgen will. So sitze ich anfangs etwas ratlos vor der komprimierten Bearbeitung von Thomas Braschs Erfolgsstück „Lovely Rita“, das vor zehn Jahren in der Werkstatt des Schiller-Theaters uraufgeführt wurde. Die neugegründete Theatergruppe KADH (Kopf Auf Der Hupe, nach einer Szenenüberschrift) formierte sich aus HdK-Studenten und -Absolventen. Ihr Regisseur Ingo Lehmenkuehler verlegte durch einen inszenatorischen Einfall Handlung und Personen des Stücks in die Imagination der drei Spielerinnen. Abwechselnd übernehmen sie Ritas Part, den einer anderen Figur oder sind einfach stumme Zuschauer. Die Idee ist bekannt aus dem „Kuß der Spinnenfrau“, dennoch überzeugt sie auch hier.

Das Bühnenbild von Dorothea Schutsch zeigt ein Wohnzimmer ohne Ausgang, die Rosentapete ist ins Absurde stilisiert. Virtuos lassen die drei Schauspielerinnen Bilder allein durch die Kraft ihrer Körpersprache und ihrer Stimmen entstehen. Rita, die auf den Trümmern neben den Leichen ihrer Eltern von einem Offizier vergewaltigt wird und sich von ihm sagen lassen muß, daß sie wie das vergewaltigte Deutschland sei. Rita, die dennoch den Offizier umgarnt und mit großer dramatischer Geste zum Film will. Und die ihn schließlich mit den Worten „Ich will uns beide nicht mehr sehen“ erschießt, als er auch diesen Traum vernichten will. Rita, die in der Zelle versucht, einer Wahnsinnigen zu helfen. Die Geschichte endet gemein, weil sie fälschlich fünf Frauen beschuldigt, um ihren eigenen Kopf zu retten, und zynisch, weil ihr Gesicht, dessen Augen „das Leid eines ganzen Geschlechts“ laut männlicher Off-Stimme ausdrücken, jetzt für den Film entdeckt wird.

Vor allem Sabine Vitua trägt das Spiel, verkörpert die Rita ebenso überzeugend wie kurz darauf den Offizier. Ursula Stampfli steht ihr vor allem in den existenziellen Monologen, die zwischen die realistischen Szenen eingebaut sind, in nichts nach. Einzig Minu Ghedina wirkt anfangs gegen die anderen blaß. Doch dieser Eindruck verliert sich bald. Die Sprechgesänge der drei an der „Bahre“ des Offiziers geraten zum Höhepunkt der Inszenierung. Das umgedichtete Vaterunser wird zur Abrechnung eines Frauengerichts mit der Männerwelt. Thomas Brasch spielt immer wieder mit Zitaten, verwandelt sie durch eine überraschende Drehung.

„Lovely Rita“ ist eine Geschichte von Auflehnung, Haß und Ohnmacht. Eine Frauengeschichte, die um so mehr an Intensität gewinnt, als ich weiß, daß Kreuzberg zur Zeit feindliches Gebiet für Frauen ist. Daß ich den Kerl mit der Waffe, der zur Zeit die Gegend rund um die Lausitzer Straße, dem Sitz der Regenbogenfabrik, unsicher macht (Achtung, Frauen!), die ganze Zeit im Kopf habe. „Lovely Rita“ ist in vieler Hinsicht verdammt aktuell, solange Männerdeformation immer noch Frauengeschichte „machen“ kann.

Sabine Rutkowski

Das Regenbogenkino zeigt parallel zum Theaterstück die Filme von Thomas Brasch: Engel aus Eisen vom 2.-4.12., Domino am 8., 9. und 11.12. und Der Passagier in der Zeit vom 16. -18.12.

Lovely Rita vom Theater KADH in der Regenbogenfabrik, Lausitzer Str. 22, 1/36 (U-Bhf: Görlitzerstr., Bus 29); Vorbestellungen unter Tel.: 751 75 80, heute, 5.-7. und 11. -16.12., jeweils 20 Uhr.