piwik no script img

Auf der Suche nach einer Bremer Architektur

■ Ein Architekturführer durch Bremen und Bremerhaven hilft, sich ein eigenes Bild zu machen / Über 200 Gebäude in Bild und Text, aber meist ohne Grundrisse, vorgestellt / Zusammenhängende Beschreibung der Häuser um den Marktplatz herum

Über zweihundert Gebäude sind in einem handlichen Format dokumentiert und in Bild und Satz auffällig gut gestaltet. Ein Architekturführer durch das Land Bremen war überfällig. Welche Erwartungen bestehen? Er könnte Bauaufgaben einer Stadt beschreiben und gute Lösungen zei

gen, er könnte Architekturent wicklungen repräsentativ im städtischen Zusammenhang dokumentieren, er könne auch wertend sein - bezogen auf die jeweilige historische Situation oder von heute aus gesehen, er könnte auch nur die Highlights herausstellen, doch sollte er vor Ort und

auch Zuhause seine Dienste tun.

Auch dieser BremerHavener AF befriedigt, wie viele andere Architekturführer, von allen Erwartungen etwas - das ist sein Plus und Manko zugleich. Die ausgewählten Beispiele sind an Hand sogenannter Rundwege gruppiert, die önichts anderes

sind, als Stadtteil-oder Ortsteilpläne, in denen in übersichtlicher Weise die einzelnen Gebäude markiert sind. Auf eine Beschreibung möglicher Rundwege durch die Stadt-, Wirtschafts- und Sozial und deshalb auch Architekturgeschichte verständlich werden könnte, wurde leider verzich

tet. So müssen sich die einzelnen Architekturen selbst genügen mit der häufigen Behauptung, daß sie sich historisch und örtlich so oder so einfügen.

Die Information über die einzelnen Projekte ist sehr unterschiedlich, sind sind es doch zugegeben „subjektive Meinungen“ der Architekten-Autoren. Es bleibt nicht verborgen, daß um die Auswahl der Objekte lebender Architekten gerungen wurde. Man konnte es sicher nicht jedem recht machen. Beteiligte Architekten haben sichs aber besonders recht gemacht. Schließlich bedeutet die Aufnahme eines Projektes im Führer Ehre und Werbung - die dem Berufsstand untersagt ist - zugleich. Werbung auf lange Sicht, denn der letzte Sammelband über Architektur im Lande lBremen ist 1950 erschienen. Stutzig werden und aufhorchen darf man, wenn die Jury-Preise zitiert werden - Texte ehemaliger BDA - sie wirken wie Entschuldigungen für den fehlenden Mut, einige davon wegzulassen. Von den ca. 200 Architekturen sind die Hälfte vor dem 2. Weltkrieg gebaut worden, die anderen danach, am meisten nach 1975.

Der BremerHavener AF gibt einen guten historischen Überblick über das Gebaute, verheimlicht aber in seiner Art den verändernden, auch zerstörerischen Aspekt von Architektur-und Stadtentwicklung. Bremen sei eine Bürgerstadt, eine freie Hansestadt. „Das gesamte Stadtbild nicht nur das der Altstadt - hat deshalb eine andere Entwicklung genommen als dies bei Residenzstädten oder weniger freien Gemeinwesen zu beobachten ist“, so beginnt Manfred Schomers seine kEinführung zur Architektur in Bremen und wird es wohl selbst nicht glauben. Die besondere Entwicklung ist aus unterschiedlichen Gründen bis zum 1. Weltkrieg zutreffend, was die Bebauung der Vorstädte mit „Bremer Häusern“ betrifft, aber die Architekturen in der Altstadt sind seit über 100 Jahren genauso wenig oder viel „bremisch“ wie anderswo: die alte Börse und das ehemalige Lloyd-Gebäude, das Gerichts-wie Polizeihaus, die Bremer und die Deutsche Bank, die BfG und Volksbank, Karstadt, Horten, Hertie, Allianz und AOK oder aus jüngster Zeit das Bremer Carree und C&A, die Züricher und Securitas Versicherungen sind Beispiele, aus denen kaum etwas spezifisch „bremisch“ Gemeinsames zu erschließen ist. Erfreulicherweise bleibt trotz Gesichtsveränderung - der Altstadtgrundriß noch erfahrbar.

Der Einführungstext ist insgesamt - besonders wegen seiner kenntnisreichen Nebenbemerkungen - interessant zu lesen, er gibt somit Hinweise auf die Hintergründe „einer kontinuierlichen geschichtlichen Entwicklung“. Eine Zumutung dagegen ist die Einführung zu Architektur in Bremerhaven. „Jung, modern, weltoffen“ wird die stadtgeschichtliche Entwicklung wie in einem Werbefilm abgespult. Von Architektur ist dabei nicht die Rede, bis auf die eine ausführliche Beschreibung des noch unfertigen „Historischen Museums“.

Zwei Highlights der Architektur bemerkt der aufmerksame Leser. Auf 26 Seiten werden die Gebäude am und in der Nähe des Marktplatzes aufschlußreich und zusammenhängend beschrieben. Ein gelungener Einstieg in den AF, auch wenn er das Lay-Out-Muster durchbricht. Der zweite ist das Alfred -Wegener-Institut. In übertriebener Weise und ohne Distanz wird da vor allem Ungers „Über sich selbst“ zitiert. Die Architektur ist überzeugend, ein gelungener Wurf, ja, aber ihr Standort? Ein Forschungsinstitut am Zugang zur historischen Stadt und City, Null-Öffentlichkeit und eine verschlossene Eingangstür. Zum Glück ist im AF ein Innenraum abgebildet.

Apropos Innen-und Außenraum: Man vermißt Information über Grundrisse und die Architektur im Innern der Gebäude; Garten -, Platz - und Landschaftsarchitektur sind in diesem AF überhaupt nicht angesprochen.

Zum „Glocke-Wettbewerb“ 1919 schreibt die damalige Jury: „Die Aufgabe ist durch das Ineinandergreifen von Altem und Neuem, architektonischen und praktischen Forderungen so erschwert, daß sie beim ersten Anlauf eine völlig reife und für die Ausführung brauchbare Lösung nicht gefunden hat“. Diese Haltung gilt bis heute als „bremisch“ und wurde im Nachgang bei fast allen Architekturwettbewerben beherzigt. Der vorliegende BremerHavener AF dagegen ist reif, brauchbar und gedruckt, wenngleich auf der Umschlagseite Altes (Zeichnung: Wolfgang Schmitz) und Neues (kariertes Papier) unmöglich ineinandergreift.

An dieser Stelle möchte ich an Ulrich Steinbacher erinnern, der durch seine engagierte Arbeit viel zum Gelingen dieses Architekturführers beigetragen hat.

Jörg Kirschenmann

Architektur in Bremen und Bremerhaven, Worpsweder Verlag, 1988, 24 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen