Ausländerhetze schädigt Schweizer Wirtschaft

Am Sonntag stimmt das Schweizer Wahlvolk über eine „Überfremdungsinitiative“ der rechtsextremen „Nationalen Aktion“ ab / Radikale Begrenzung von Grenzgängern und Saisonarbeitern gefordert / Arbeitgeber, Gewerkschaften und Parteien fürchten Wirtschaftschaos  ■  Aus Basel Thomas Scheuer

Senkrechte Eidgenossen, die im Gärtli hinterm Haus die Schweizer Fahne auf Vollmast hissen, hören es nicht gern: Gerade für die auf hochspezialisiertes Fachpersonal angewiesenen Konzerne und Institute der Chemiemetropole Basel gibt der einheimische Arbeitsmarkt zu wenig her. Aber auch große Teile des Hotel- und Gaststättengewerbes in den Tourismusgebieten, zahlreiche Krankenhäuser oder Baubetriebe könnten ohne Ausländer morgen dicht machen. Ob es dazu kommt, entscheidet am Sonntag das Wahlvolk, das per Volksabstimmung über die sogenannte „Überfremdungs -Initiative“ der rechtsextremen „Nationalen Aktion für die Erhaltung von Volk und Heimat“ (NA) befindet. Eine Wirtschaftskrise werde das ganze Land überziehen, der Lebensnerv der Alpenrepublik getroffen, so mahnen Zeitungskommentatoren seit Wochen ihre stimmberechtigte Leserschaft, sollte die ihr Kreuzchen „falsch“ setzen. Denn die NA-Gesetzesvorlage - der sechste derartige Vorstoß der Nationalen innerhalb von 15 Jahren - fordert eine radikale Begrenzung ausländischer Saisonarbeiter, Grenzgänger und Arbeiter, deren Aufenthalt für ein Jahr befristet ist, - um „den Weg der Eidgenossenschaft in die Degeneration“ zu stoppen. Laut NA geht es „um das Überleben unserer Heimat.“

Regierung und Parlament in Bern, alle großen Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeber lehnen die Initiative einhellig ab. Weniger wegen des fremdenfeindlichen Tenors, sondern wegen der zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen: Allein in der Grenzstadt Basel arbeiten fast 22.500 Grenzgänger aus dem Elsaß und Baden, die nach Feierabend wieder über die Grenze nach Hause fahren. Rund 10.000 von ihnen würde ein positives Votum den Arbeitsplatz kosten. Eine „massive Schädigung unserer Volkswirtschaft“ droht nach Ansicht von Regierungsrat (Kantonsminister) Feldges: „Ganze Betriebe müßten ihre Tätigkeit ins Ausland verlegen.“ Harsche Rückschläge befürchten Politiker und Manager für die internationalen Beziehungen der Schweiz, vor allem deren „Europafähigkeit“: Gerade müht sich die kleine Schweiz hektisch, im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt 92 in Brüssel handelspolitische Sonderkonditionen herauszuschinden. Der Rausschmiß von hunderttausenden EG-Bürgern würde das ohnehin komplizierte Verhältnis zur EG schwer belasten, die ja gerade völlige Freizügigkeit (für Westeuropäer) auf ihre Fahnen geschrieben hat. Einige Forderungen der NA -Gesetzesvorlage, so warnen Rechtskundler, sind zudem nicht mit der Europäischen Menschenrechts-Konvention vereinbar, welche die Schweiz ratifiziert hat. Selbst die UNO -Flüchtlingskonvention könnte die Schweiz dann nicht mehr einhalten, da die Initiative ein völkerrechtswidriges Limit für anerkannte Asylanten vorsieht.

Zwar ist die Asylpraxis der Schweiz nicht der eigentliche Gegenstand der Initiative, sie bestimmt aber unterschwellig die öffentliche Debatte, da die NA gezielt auf die in der Schweiz besonders entwickelten paranoiden Überfremdungsängste setzt. Das hat Regierung und bürgerliche Parteien in eine paradoxe Situation gebracht: Die gleichen Politiker, die der Bevölkerung in immer schrilleren Tönen erklären, die Schweiz könne keine weiteren „Asylanten“ verkraften, versuchen, ihren Wählern klarzumachen, daß ohne Ausländer die Wirtschaft zusammenbräche.

Als die Bundesregierung kürzlich in Melchtal, einem kleinen Bauerndorf in der Innerschweiz mit nur wenigen hundert BewohnerInnen, gleich 200 Flüchtlinge in dortigen Militärbaracken provisorisch einquartieren wollte, kam es zum lokalen Aufstand. Der Spruch „Nur ein toter Asylant ist ein guter Asylant“ wurde dort auf die Dorfstraße gepinselt. Das amtliche Schreckensgemälde vom „Asylantennotstand“ zeigt auch andernorts Wirkung: Erst am Mittwoch dieser Woche steckten Unbekannte in Klosters die derzeit noch von Bauarbeitern bewohnten Holzbaracken eines geplanten Bundeszentrums für Asylbewerber in Brand. Nun müssen die Verantwortlichen - wenigstens ein Abstimmungswochenende lang - die Geister wieder los werden, die sie vorher riefen.