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Mickey Mouse ansingen

■ Popmusiker singen Songs aus Disney-Filmen

Walt Disney? Hat mich nie besonders berührt. Dachte ich. Kaum mehr als Hal Willner mit seiner fixen Idee, Lieblingssmusiken neu interpretieren zu lassen. Wie jetzt eben Songs aus Disney-Filmen.

Die erste Überraschung: Obwohl ich bloß das Dschungelbuch mal im Kino gesehen habe, kannte ich die meisten Melodien. Sie müssen auf dem Weg irgendwelcher Kindersendungen mit Klaus Havenstein oder sonstwie durchs Airplay in mich hineingelangt sein, ziemlich früh. Die zweite Überraschung: Unterhalb dessen, was der „eigene“ Geschmack sein soll, haben sie eine dicke Schicht dieser speziellen Disney -Sentimentalität gebildet, die wohl erst mit dem Tod wieder rausgeht. Solange darf Bambi nicht sterben.

Man entkommt nicht, wenn der Kitsch sein langwimpriges Auge aufschlägt. Aber keiner der auf „Stay Awake“ versammelten Various Artists (ein Barbar, wer sowas Sampler nennen würde) scheint derartiges überhaupt gewollt zu haben. Niemand legt's drauf an, etwas zu durchbrechen oder kaputtzusingen. Was vorherrscht, ist der Wille zum Aufpolieren, zum detailgetreuen Nachstellen einer Szene. Als wollten unter der Oberregie des großen Kinds Willner sich alle gerade extra einen Wunsch erfüllen und nochmal Wunderwelt der Kindheit spielen. Spieluhrenzauber mit präzis verstimmten Gitarren denn auch bei der Neuinterpretation von „Little Wooden Head“ (aus „Pinocchio“) durch Bill Frisell und Wayne Horvitz. Suzanne Vega ist natürlich Mary Poppins, die sanft und a capella „Stay Awake“ singt. Los Lobos wenden ihre Pastiche-Mexicanismen auf einen Song aus dem Dschungelbuch an, Percussion als fröhliches Urwaldgewusel, das Baritionsaxophon in der Rolle von Balu dem Bär. Nathalie Merchant (10.000 Maniacs) und Michael Stipe (R.E.M.) bringen Zartestes unironisch: „My Little April Shower“, mit elfenhaften Gesängen der Roche-Sisters im Hintergrund.

Das Tempo ist hoch, man kommt schnell ein bißchen durcheinander. Nicht nur wegen der vielen Medleys, Übergänge, „Hi Diddle Dee Dee„s und „Zip-A-Dee-Doo-Dah„s. Die scheinen auch alle gar nicht mehr aufhören zu wollen (Total Running Time 1 h 5 min), gleiten von Stimmungsfetzen zu Stimmungsfetzen und schrecken dabei viel Bilderplunder auf. „Blue Shadows On The Trail“ aus dem Jahr 1948, von Syd Straw in den Farben früher Western gesungen, ewig leuchtet das Kattunhemd. Oder hütchenschwenkender Vaudeville-Kram in verschiedenen Abstufungen, in Trampkluft bei Harry Nilsson, mittels elektrischer Gitarren behutsam verroht von den Replacements, in „When You Wish Upon A Star“ dem alten Ringo Starr mit Geigen auf die schmalzige Stimme gestrichen. Oder „Castles Of Spain“ in der Version von Buster Poindexter, ein zum Platzen pralles Originalklischee aus der beginnenden Massentourismus-Ära. Bloß der unvermeidliche Tom Waits hat seinen Zwergenmarsch ein wenig verfremdet, zerkratzt, mit Rabotto-Rhythmen unterlegt, vielleicht um nicht ganz jedermanns Leierkastenmann zu werden.

„Some people will tell you that music was a key ingredient of Walt Disney's success. Dont't you believe it. Music was the foundation of Walt Disney's success“, behauptet Leonard Maltin, Autor mehrerer Bücher über Disney. Dessen Komponisten - Leigh Harline, Frank Chruchill, George Bruns u.a., Namen, die den wenigsten etwas sagen werden - haben tatsächlich überall geklaut, wo etwas für die Zusatzanimation von Trickbildern zu holen war. Romantizistische Märchenklarinetten, Marschrhythmen, Musicalfetzen. Ob das Original von „I'm Wishing“ aus „Snow White and The Seven Dwarfs“ jazzinspiriert war, weiß ich nicht, aber die Interpretation durch Betty Carter klingt so wenig gewaltsam wie Sun Ras Version von „Pink Elephants On Parade“: Trötende Bläser verlieren sich wie selbstverständlich in einer Pianoimprovisation des Meisters. Nur bei Aaron Neville sträubt sich etwas, wenn seine zuckersüß tremolierende Soulstimme, der man die Geburt aus schwarzem Gotteslob noch anhört, plötzlich Mickey Mouse ansingt (ohne wenigstens den Umweg über Sex genommen zu haben).

Für Amerikaner alles kein Problem; Mac Rebennack alias Dr. John, der ihn am Klavier begleitet, scheint es jedenfalls nicht gestört zu haben. Angesichts ihrer hochentwickelten (und ungebrochenen) Unterhaltungskitschtradition nehmen sie sich das Recht, Disney ernst zu nehmen wie Kinder. Alle tun, als müßten sie nach ihrem Beitrag gleich ins Bett; Hal Willner grinst glücklich in Richtung toter Disney („frozen or in heaven“) und denkt schon über Volume II nach. Vielleicht macht Michael Jackson ja diesmal mit.

Thomas Groß

Stay Awake. Various Interpretations of Music from Vintage Disney Films (A&M)

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