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Schneebälle auf Jubel-Uni

Zum 40jährigen Jubiläum der Freien Universität Berlin Proteste wie anno dunnemal: Krachdemonstration, Hausbesetzung, Ku-Damm-Marsch  ■  Aus Berlin CC Malzahn

„Da kommt Weizsäcker angefahren!“ ruft ein Student seinen KommilitonInnen zu und löst mit seiner Feststellung einen Schneeballhagel auf die schwarze Limousine aus. Der Präsident der Republik war gestern vormittag auf dem Weg zur Jubiläumsfeier der Freien Universität Berlin im Großen Hörsaal. Den Gebäudekomplex aber haben seit neun Uhr früh rund 4.000 frierende StudentInnen umstellt. Die HochschülerInnen, von denen etwa 1.000 schon in der Nacht zuvor in über 15 besetzten Instituten übernachtet hatten, protestieren schon seit Ende vergangener Woche lautstark gegen die hoffnungslose Überfüllung der einzelnen Studiengänge, die katastrophale Wohnungsnot in Berlin und die rechte Wende in der Hochschulpolitik. Mit den gestrigen Aktionen anläßlich der „FU-40“ Jubelfeier erreichte die Protestwelle in West-Berlin, die auch für linke Professoren völlig unerwartet losbrach, ihren vorläufigen Höhepunkt.

Neben den Protesten im Uni-Viertel selbst hatten Studenten am Sonntag morgen eine leerstehende Villa in Berlin-Dahlem besetzt, um auf ihre Wohnungssituation hinzuweisen. Am Sonntagmittag kam es nach den Protesten rund um die FU zu einer weiteren spontanen Demonstration auf dem Kurfürstendamm.

Gegen die „Selbstbeweihräucherung“ der FestaktteilnehmerInnen im großen Hörsaal setzten die Studiosi am vormittag Räucherstäbchen, Farbbeutel und Schneebälle ein. Die 400 Polizisten, die den Universitätsteil vor den StudentInnen „schützte“, antworteten gegen 10 Uhr früh mit einem kurzfristigen Knüppeleinsatz. Meldungen über verletzte DemonstrantInnen lagen bis Redaktionsschluß nicht vor. Ein Polizist sei durch Eisstückchen im Gesicht verletzt worden, hieß es. Ansonsten verliefen die Aktionen friedlich. Neben studentischen VertreterInnen verschiedener Institute redete auch der APO-Veteran Hellmut Gollwitzer zu der aufgebrachten Menge. Seine Botschaft an die neue Studentengeneration: „Ihr müßt politischer werden!“

Nachdem es den StudentInnen gestern mittag nicht gelang, bis zum „Hotel Interconti“ in der Nähe des Berliner Zoos vorzudringen - die Polizei hatte das Gebiet weiträumig gesperrt - bildete sich um halb eins eine spontane Demonstration auf dem Kurfürstendamm. Unter starker Polizeibewachung flanierten die etwa 2.000 ProtestlerInnen im Eisregen an den verdutzten BesucherInnen des Weihnachtsmarktes vorbei. Slogan Nummer eins der Studenten -Charts: „Aufruhr - Widerstand - die Uni ist in unserer Hand!“

Nachdem der unangemeldete Zug von Polizeiketten zum Stehen gebracht wurde, orientierte die Demo-Leitung auf das besetzte Haus in der Dahlemer Podbielskiallee. Etwa 500 Studenten brachen daraufhin in Richtung Villa auf. Der seit 1983 leerstehende Prachtbau wird von etwa 50 Menschen besetzt. Zu Zusammenstößen mit der Polizei kam es dort bis Redaktionsschluß nicht. Die studentische „AG-Wohnungsnot“ teilte mit, daß sich die BesetzerInnen mit der Erbin des Hauses in Verbindung gesetzt habe, um über das Gebäude zu verhandeln.

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