: Turnen der krassen Gegensätze
■ Kunstturnen ganz unten und Kunstturnen ganz oben beim DTB-Pokal in Stuttgart
Stuttgart (taz) - Ganz oben waren die Weltklassevorführungen der Olympiasieger und -siegerinnen wie Daniela Silivas aus Rumänien, Swetlana Boginskaja und Valeri Ljukin aus der UdSSR, ganz unten die Vorstellungen der bundesdeutschen Turner und Turnerinnnen, unter denen nur Ralph Kern (Leingarten) mit einem dritten Platz im Reckfinale die Bilanz verschönerte. Von den Mädchen des Deutschen Turner -Bundes (DTB) konnte sich alleine Stefanie Tautz aus Detmold einigermaßen an den Geräten halten. Tautz trainiert nicht im Bundesleistungszentrum Frankfurt und ist als „Heimturnerin“ zur Zeit die Einzige aus dem DTB-Lager, die international mithalten kann. Ein siebter Rang war aber das Äußerstmögliche.
„Wir müssen versuchen“, sagte Bundestrainer Hornig, „die Probleme zwischen Heim- und Bundestrainern zu überwinden“. Die Heimtrainer würden mit Argusaugen darüber wachen, daß in erster Linie ihre Anweisungen, nicht die des Bundestrainers befolgt würden. Für Tautz-Trainer Dörrer liefern die (nationalen) Erfolge seines Schützlings den Beweis, daß ein Training in gewohnter Umgebung auch zum Ziel führt. Stefanie Tautz, die im kommenden Frühjahr ihr Abitur machen wird, kann sich dann dem Turnen rund um die Uhr widmen. „Sie ist eben die Einzige, die sich professionell auf die Weltmeisterschaften vorbereiten kann, denn leider“ - so die Logik des Bundestrainers - „sind wir nicht in der glücklichen Lage, daß die Bundeswehr die Turnerinnen freistellt.“ Sie müßten eben sechs Stunden am Tag zur Schule, war der konfuse Schluß.
Daß Hornig die Turnerinnen mit der Einführung der Wehrpflicht für Frauen aus dem Keller holen will, darf wohl eher als rhetorisches Ungeschick verstanden werden, denn die erfolgreichen Turnknirpse Silivas (17) und Boginskaja (15) werden mit Höchstnoten belohnt, ohne im Umgang mit Waffen vetraut zu sein. Freilich, Hornig wollte mit seiner pro -militärischen Äußerung an die Verhältnisse bei den Männern erinnern, nachdem rund die Hälfte des Teams darauf verwiesen hatte, von diesen Gepflogenheiten bei der Bundeswehr zu profitieren.
Das allein reicht aber auch den Männern nicht. „Was fehlt“, sagte der neue Cheftrainer Mauno Nissinen, „ist die professionelle Einstellung unter den Turnern.“ Es werde zuviel im Training „herumgetrödelt“, die Zeit nicht effektiv genutzt. Man muß nicht immer auf den mächtigen Ostblock verweisen. Die Japaner bewiesen in Stuttgart einmal mehr, daß auch andere den Anschluß finden können.
Die Turner aus dem Land der aufgehenden Sonne zählten schon immer zu den Großen. In den vergangenen Jahren waren sie allerdings von der Bildfläche nahezu verschwunden. Bei den Olympischen Spielen in Seoul tauchten sie wieder auf, und in Stuttgart gingen mehrere Medaillen an die beiden japanischen Teilnehmer. Sie verbeugten sich vor jedem Gerät vor den Kampfrichtern. Dies sei nicht nur Etikette, versicherte Bundestrainer Franz Heinlein aus dem Leistungszentrum Ruit bei Stuttgart, sondern „Ausdruck einer wiedergefundenen Geisteshaltung in Japan“. Die Japaner würden einfach ernsthafter an die Geräte gehen, obwohl sie deutlich schlechtere Bedingungen hätten als die bundesdeutschen Athleten. Ordentliche Hallen mit adäquater Bodenfläche fehlten, Schnipselfallgruben und andere moderne Einrichtungen würden noch in die Kategorie Zukunftsvisionen eingeordnet.
Etwas ungerecht behandelt fühlt sich da Ralph Kern: „Nach außen hin wird immer nur die Leistung als solche gesehen. Was an Verletzungen und sonstigen Hemmnissen abläuft, bekommen Außenstehende gar nicht mit.“ Kern, der von seinem Paradegerät Reck abgesehen in Stuttgart viel verturnt hat, sei in Seoul nicht deshalb „abgesackt“, weil er keine Lust gehabt habe: „Ich war die ganze Zeit schlapp und habe erst nach den Spielen erfahren, daß mein Blutbild schlecht war.“ In Stuttgart plagte ihn eine Wadenverletzung. Gesundheitliche Schwächen oder Verletzungen würden aber nur dann registriert, wenn der Turner ganz ausfalle. Für den DTB -Pokal in Stuttgart sei zudem die Regenrationsphase viel zu kurz gewesen. Während sich die meisten Turner nach Olympia mehrere Wochen erholten (das war in Stuttgart auch den internationalen Cracks anzusehen), mußten die Bundesdeutschen schon zwei Wochen später an die Geräte.
In Stuttgart finden im Oktober nächsten Jahres auch die Weltmeisterschaften statt, die den diesjährigen DTB-Pokal zur Generalprobe werden ließen. WM-Organisationschef Robert Baur betrachtete sie „als im wesentlichen geglückt“.
T.S.
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