: „Westeuropas Rechtsradikale folgen dem Beispiel Le Pens“
Le Pen schaffte den Übergang von dem militant-terroristischen Zirkel zur erfolgreichen Wahlpartei / Radikale und kulturelle „Neue Rechte“ sind in der Front National vereinigt / Der Block der Euro-Rechten im Straßburger Europa-Parlament wird nach den Wahlen stärker werden ■ I N T E R V I E W
Marie-Jose Chombart de Lauwe schloß sich noch als Jugendliche der Resistance an und wurde von der Gestapo in das KZ Ravensbrück verschleppt. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete sie als Kinderpsychologin in Paris. Chombart de Lauwe gilt heute als führende französische Expertin für Rechtsradikalismus und Neo-Faschismus in Westeuropa. Sie ist aktives Mitglied der französischen Menschenrechtsliga (Ligue des Droits de l'Homme) und dem Verband der Widerstandskämpfer FNDIRP.
taz: Le Pen ist keine Eintagsfliege. Er hat die gesamte westeuropäische Nachkriegsgeschichte politisch aktiv durchlebt. Wie erklärt sich sein Erfolg?
Chombart de Lauwe: Le Pen war immer ein Rechtsradikaler. Er hat seine Auffassungen nie geändert. Die Parteigründung der „Front National“ 1972 glich einer Vereinigung militanter rechtsextremistischer Gruppen. Le Pen scheute sich nicht, alte französische SS-Leute, Vichy-Kollaborateure und Neo -Nazis in die Partei mitaufzunehmen. Le Pens Erfolg ist nur zu einem Teil ihm selbst zuzuschreiben, im zumindest gleichen Maße beruht sein Erfolg auf der Arbeit der gesamten Rechtsradikalen und insbesondere der neuen „kulturellen Rechten“, die zeigen wollte, daß die extremistischen, faschistischen Ideen letztendlich Ideen wie alle anderen sind.
Nach dem Scheitern der OAS („Organisation Geheimarmee„; eine rechte Terrororganisation in der Endphase des Algerienkrieges, d.Red.) entstanden in Frankreich zunächst kleine militante Gruppen, die sich - radikalisiert durch den Krieg - ausdrücklich auf den Faschismus beriefen. Diese Gruppen bestehen heute noch, doch konnten sich die Intellektuellen der Bewegung rasch von ihrem geringen Einfluß überzeugen. Bereits 1969 entstand mit Gründung der GRECE („Forschungs- und Studiengruppe für die europäische Zivilisation“) die sogenannte „kulturelle oder neue Rechte“.
Die GRECE, der bald über 5.000 Mitglieder angehörten, wollten zu den „Quellen der westlichen Kultur“ zurückfinden. Man sprach nicht mehr von der weißen Rasse, aber von der westlichen Kultur. Man forschte nach den Ursprüngen der „Arier“. Man sprach von der Bedeutung der Genetik für die soziale Hierarchie. Das ist bis heute so.
Warum aber tauchte die neue Rechte in der Öffentlichkeit erst viel später auf?
Sie tauchte in Frankreich auf, als es einem rechtsradikalen Journalisten Ende der siebziger Jahre gelang, die Debatte um die „Auschwitzlüge“ neu aufleben zu lassen. Die Frage, ob in Auschwitz nur Flöhe verbrannt wurden, wurde zu einem Medienereignis. In dieser Diskussion „entdeckten“ die Medien die neue Rechte. Plötzlich stand die GRECE stellvertretend für eine angeblich neue intellektuelle Bewegung. Gleichzeitig gelang es der GRECE, zahlreiche Ableger-Clubs in einzelnen Berufsgruppen zu gründen, bei Lehrern und Offizieren zum Beispiel. Das Ziel der GRECE bestand darin, überall dort Eintritt zu finden, wo der Staat seine zukünftigen Funktionäre ausbildete.
Zu Beginn der achtziger Jahre stand Le Pen noch abseits dieser Entwicklung. Wie konnte er von dem neuen intellektuellen Klima profitieren?
Le Pen - mit seiner kleinen Partei, die aus einem gewalttätig-extremistischen Milieu hervorgegangen war hatte damals noch keine großen Wahlerfolge. Er bewunderte Alain de Benoist, der als intellektueller Führer der neuen Rechten galt, und für ihn eine Inspirationsquelle war. Die Annäherung zwischen Neuer Rechten und Le Pen lief dann über den 1975 von GRECE-Mitgliedern gegründeten „Club de l'Horloge“, der alsbald hohe Beamte und Mitglieder der Giscard-Regierung vereinigte. Im Gegensatz zur GRECE, die ihre Aktion auf kulturell-philosophischem Gebiet fortsetzen wollte, wurde der Club de l'Horloge direkt politisch aktiv. Selbst Spezialisten betrachteten ihn zunächst als Gedankenlaboratorium für Gaullisten und Rechtsliberale. Doch von Beginn an machten auch Mitglieder der Front National beim Club mit. Unter der Mitarbeit von Jean-Pierre Stirbois, dem kürzlich verunglückten Generalsekretär der Front National, entwickelte der Club de l'Horloge eine Studie zur „Ausländerproblematik“, die sowohl Gaullisten wie der Le-Pen -Partei als Vorlage für ihr Parteiprogramm diente.
Le Pen, der aus seiner Partei langsam die radikalsten Gruppen ausgeschlossen hatte, rekrutierte über den Club de l'Horloge angesehene Parteimitglieder, die fortan als Bindungsglieder zu den Bürgerlichen dienen konnten. Yvan Blot, führendes Mitglied der gaullistischen RPR, betonte auf der letzten Tagung des Club de l'Horloge am 15.Juni diesen Jahres, daß Front National und RPR von den gleichen Werten inspiriert seien. Ähnliches hatte zuvor Chiracs Innenminister Pasqua behauptet.
Folgen die Rechtsradikalen in ganz Westeuropa heute dem Beispiel Le Pens und setzen auf Wahlen?
Ich glaube, ja. Auch wenn die Beispiele oft komplizierter sind. In Belgien konnten die Rechtsradikalen einige kleine Wahlerfolge erzielen, halten aber weiterhin an einer harten Konfrontationstaktik an der Basis fest. Dabei profitieren sie vom Konflikt zwischen Flamen und Wallonen. Doch eine allgemeine Tendenz zur Institutionalisierung und „Mäßigung“ der rechtsextremistischen Bewegungen läßt sich nahezu überall in Westeuropa feststellen. Dänemark ist das jüngste, neben Norwegen und Frankreich am weitgehendsten fortgeschrittene Beispiel.
Nimmt Le Pen direkten Einfluß auf diese Entwicklungen?
Le Pen kann reisen. Vor einigen Monaten hat er in Spanien entscheidend zur Gründung einer neuen „Nationalen Front“ beigetragen. Auch in Belgien ist es seinem Einfluß zuzuschreiben, daß sich mehrere rechtsextremistische Gruppen zu einer Partei zusammengetan haben.
Vor wenigen Jahren gab es zahlreiche Indizien, daß die rechtsradikalen Terrorgruppen in Italien, England und der Bundesrepublik effizient zusammenarbeiten. Wird es bald einen rechtsradikalen westeuropäischen Parteienverbund geben?
Es gibt ihn bereits im Europaparlament, bestehend aus zehn Abgeordneten der Front National, sechs vom italienischen MSI und einem Griechen. Sein Einfluß war jedoch bis heute relativ gering. Doch schon nach den Europawahlen im nächsten Jahr kann sich dieser Parteienblock in Straßburg erheblich ausweiten. Dänen und Spanier werden voraussichtlich hinzukommen. Ähnlich wie in der französischen Nationalversammlung in den letzten zwei Jahren könnten sich die Bürgerlichen dann programmatisch den Rechtsradikalen im Europaparlament anpassen.
Das Gespräch führten Joachim Holzenkamp und Georg Blume
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