: Das Kräftefeld der Körper
■ Ein Stück von Pasolini im Frankfurter „Theater am Turm“
Das Frankfurter „Theater am Turm“ liegt an der großen und etwas öden Eschersheimer Landstraße, ungeschützt. Der Übergang von der Realität der Straße in den Theaterraum ist abrupt, große Foyer-Irrgärten sind nicht zu überwinden. Plötzlich steht man mittendrin, und das bedeutet in diesem Fall: in einem intimen Zuschauerraum, da für Orgia die Stuhlzahl drastisch reduziert wurde.
„Folglich sind die Worte der Sprache nichts als / Werkzeuge des Traums. Wie die Wirklichkeit / das Böse, der Traum das Gute ist“, sagt der Mann in Pasolinis Mann / Frau-Stück Orgia. Aber anders als Shakespeare, dem der Traum Urgrund jeglicher Poesie ist, behauptet Pasolini: Unsere Träume entleeren die Worte, sind mit daran schuld, daß sie zu Werkzeugen kleinbürgerlichen Scheins werden, zum kleinlauten Arrangement mit der Macht beitragen. Dagegen setzt er die Körper, die Sprache der Körper. Und er läßt den Mann immer wieder von der Frau fordern, sie solle sich zu den Obsessionen des Körpers bekennen. „Skandalisieren, verraten muß man die Welt! / Sonst verliert sie sich doch / in ewiger Wiederholung... /“ Das ist die einzige dramatische Bewegung in Orgia: Wie der Mann mit Worten Schamgrenzen angeht / die Frau die Worte vom Mann fordert.
Elke Lang spielt die Frau und ist gleichzeitig Regisseurin und Bühnenbildnerin. Sie hat diese Bewegung, dieses Sprechen zu Schamgrenzen hin konsequent übersetzt - die Bühne liegt nicht wie gewohnt in ihrer Breite vor dem Theaterbesucher, sondern geht als langer Tunnel in die Tiefe wie ein umgedrehtes Fernrohr. Von rechts und links fallen durch Schlitze Lichtschranken, Grenzen. An sie tastet sich die Frau heran, umspielt sie, hat Angst vor ihnen. Aber weniger das rüd-obszöne Sprechen des Mannes bestimmt ihre Bewegungen um diese Grenzen. Ihre eigene Stimme, das Fordern, daß der Mann es ausspreche, läßt sie stocken oder treibt sie voran. Für Christian Hoening, der den Mann spielt, existieren die Schranken nicht. Er geht bedenkenlos mit ihnen um.
„Ich binde dir auch die Füße, damit du / nicht aufstehen, nicht mehr gehen kannst. / Wie ein gefesseltes Tier, / die Stirn gesenkt und das Maul voller Geifer /.“ Elke Lang und Christian Hoening sprechen die Texte unterkühlt. Denn Orgia ist weniger eine expressive Beschwörung von Lust und Untergang als ein Gedankenexperiment über menschliche Grundbefindlichkeiten. Die Dialogführung hart am Rande des Kältetodes ist also grundsätzlich gerechtfertigt. Und vor allem dann, wenn beide die ungeschändete Zeit ihrer Jugend und Kindheit beschwören, ist zurückgenommenes Sprechen notwendig. Pasolinis Text droht hier stellenweise sentimentalisch zu werden, poetisierendes Sprech-Feuer würde dies verstärken. Insgesamt aber hätte man Elke Langs Inszenierung doch etwas mehr Wechsel, etwas mehr Rhythmus gewünscht, mehr vorantreibende untergründige Spannung nicht in der Sprache, sondern im Kräftefeld der Körper.
Pasolini hat in Orgia viele Motive eingewoben. Drei Jahre vor dem Film spielt er mehrere Male auf den Kindermord der Medea an. Und ein Jahr vor Edipo Re - Bett der Gewalt phantasiert die Frau den Beischlaf mit dem eigenen Sohn. Elke Lang hat stark gekürzt, an manchen Stellen vielleicht zu kraß. Aber insgesamt braucht Orgia Kürzungen, denn Pasolini walzt einiges doch zu breit aus. Nach der travestierten Ödipus-Phantasie der Frau geht es allerdings schnell. Sie holt ein Messer, und in der nächsten Szene ist sie tot. Der Mann probiert es noch einmal mit einem jungen Mädchen, das weiß aber nichts mehr von den Obsessionen, um die es in den vier vorangegangenen Szenen ging. Am Ende hat sich der Mann erhängt.
Wie viele der sechs Stücke, die Pasolini für das Theater geschrieben hat, wurde Orgia lange nicht deutschsprachig aufgeführt. Und auch jetzt, nachdem Elke Lang dieses Stück 1985 in Wien erstaufführte, findet man es bei uns nicht auf den Spielplänen. Das ist schade, denn Pasolini ist so sprachmächtig und poetisch, wie man das selten findet.
Jürgen Berger
Weitere Aufführungen am 9., 10., 18. und 21.Dezember, jeweils um 20 Uhr, am 21. um 22.30 Uhr nach Sieben Türen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen