Birmas Militär-Junta beherrscht die Massen

Vor den Vergeltungsmaßnahmen der Militärs hat sich die Opposition in den Untergrund zurückgezogen / Studenten setzen auf bewaffneten Widerstand unter der Obhut der ethnischen Minoritäten / Freie Wahlen unter den 154 Parteien stehen in den Sternen  ■  Von Martin Smith

London (taz) - Es mag seltsam erscheinen, jetzt auf einen im Mai dieses Jahres erschienenen Amnesty-international-Bericht über die Menschenrechtsverstöße der birmanischen Armee zurückzukommen. Damals wurden Stimmen laut, die die Folterungen und Schnellhinrichtungen von in den Grenzregionen lebenden Minoritäten zu einer traurigen Konsequenz des seit langem anhaltenden kommunistischen und ethnischen Widerstands herunterspielen wollten. Unterdesen sind Hunderte unbewaffneter Demonstranten der Schießwut der Polizeikräfte zum Opfer gefallen. Und die Massenbewegung, die das Land im August und September in Atem hielt, ist durch das rigorose Durchgreifen der Armee erstickt worden: ein erstes Ergebnis des Regimes von Saw Maung, dem neuen starken Manne von Birma, der sich am 18. September an die Macht putschte. Aus Protest haben die USA, Großbritannien und die beiden größten Geldgeber Japan und die BRD vorerst ihre Kredite gestrichen. Es gibt auch keine Anzeichen, daß China oder die UdSSR sich anschicken das finanzielle Vakuum eines Landes zu füllen, das zu den zehn ärmsten der Welt zählt. Nur Malaysia und Kolumbien es Regime anerkannt.

Das wachsende Chaos läßt sich nicht bestreiten, doch die Regierungssender lassen keine Gelegenheit aus, die Erschossenen als „störende Elemente“ und „Plünderer“ zu disqualifizieren. Auf zynische Weise hat die Armee ihr Ziel, die von den Studenten angeführte Bewegung von den Straßen zu verbannen, erreicht. Zwischen 5.000 und 10.000 Zivilisten sind dieser Strategie zum Opfer gefallen. Genauere Zahlen gibt es nicht, da die Armee keine Zeit verlor, die Leichen beiseite zu schaffen.

Schätzungsweise 10.000 Studenten und Aktivisten sind unterdessen in die „befreiten Gebiete“ geflohen, die von den beiden führenden Widerstandsfraktionen, der Kommunistischen Partei Birmas (CPB) und der Nationalen Demokratischen Front (NDF), kontrolliert werden. Hier im Südosten Birmas haben sich einige einem militärischen Training bei der „Karen National Union“ (KNU) unterzogen. Und ihre Entschlossenheit hat selbst KNU-Veteranen verblüfft. „Sie sind wirklich scharf aufs Kämpfen“, sagte Skaw Ler Taw, Mitglied des KNU -Zentralkommitees: „Sie sehen keinen anderen Weg, um die Regierung zu stürzen und demokratische Verhältnisse zu schaffen.“ Andere Führer der NDF äußern sich vorsichtiger. Brang Seng, Vorsitzender der Kachin Independence Organisation, warnte davor, die jungen Leute über Nacht in Guerilla-Kämpfer umzuwandeln. Es wäre besser, meint Brang Seng, andere Länder ermöglichten den Studenten und Schülern in ihrer ausweglosen Lage ihre Studien im Ausland zu Ende zu führen. Solche Ansichten machen indessen nur wenig Eindruck auf die neu gegründete All Students Democratic Front. Sie nehmen Saw Maung sein Versprechen, im neuen Jahr faire Wahlen abzuhalten, nicht ab. Bis jetzt haben sich bereits 154 politische Parteien eintragen lassen, darunter auch die Birmanische Sozialistische Programmpartei (BSPP), die mit neuem Namen als „National Unity Party“ kandidiert.

Die siebzehnjährige Schülerin Ma Sein aus Rangoon hält Wahlen für eine Farce: „Allein die Sorge um ihre internationale Reputation hält die Armee bislang davon ab, U Nu und Aung San Suu Kyi sowie weitere prominente Oppositionsführer zu verhaften. Die wirklichen Führer der Bewegung sind ihnen bekannt. Sie haben ihre Namen und Fotos. Viele von ihnen sind bereits erschossen oder zur Flucht gezwungen worden. Wenn es an der Zeit ist, werden sie auch den Rest von uns holen.“ Für die Studenten ist die Strategie der Armee klar: Indem sie die Krise Birmas zu einer Frage von Recht und Ordnung macht, hofft sie, ihre Herrschaft legitimieren und die Studenten als politische Kraft an den Rand spielen zu können.

Kaum jemand bezweifelt, daß der 77jährige Ne Win noch immer hinter den Kulissen an den Fäden zieht, - auch wenn es heute so scheint, als sei eine neue Gereration von Armeeoffizieren zum Zuge gekommen. Dazu zählen auch Ne Wins Tochter, Sanda Win, eine Ärztin im militärischen Rang eines Majors, und Brigadegeneral Khin Nyunt, Chef des gefürchteten militärischen Nachrichtendienstes. Den beiden wird nachgesagt, die überraschend raffinierte Propaganda-Kampagne der Regierungspresse zu führen. Seit dem Putsch läuft Radio Rangoon geradezu auf Hochtouren, um Zusammenkünfte zwischen Studenten und Führern der ethnischen Widerstandsbewegungen aufzubauschen. Die Berichterstattung der BBC wird bei jeder Gelegenheit verurteilt. Nay Min, ein 42jähriger Jurist aus Rangoon, der als Informationsquelle mehrerer BBC-Berichte galt, ist verhaftet, der „Verbreitung von Gerüchten“ angeklagt und gefoltert worden.

Am überraschendsten und völlig neu war aber die tägliche Berichterstattung über Kämpfe zwischen Armee und den verschiedenen Widerstandsarmeen. Sowohl die NDF als auch die CPB bestätigen zwar Kampfhandlungen in den Karen-, Kachin und Shan-Staaten, und mehrere hunderte Todesopfer sowie Verletzte. Beide bestreiten aber, daß in dem Ausmaß der Kämpfe irgendetwas Außergewöhnliches läge.