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20jähriger Schüler vor Gericht

■ Ein Hakenkreuz, ein Kleister-Eimer und eine Schreckschußpistole zur Bismarck-Ehrung: FAP nutzte jugendliche „Suche nach Anerkennung“ aus

„Daß wir kein souveräner Staat sind und insoweit nicht frei, ist doch klar.“ Der Angeklagte Henrik O., Schüler der 13. Klasse und 20 Jahre alt, sieht sich in seiner Meinung von Deutschland ganz aktuell durch Berichte vom US -Flugzeugabsturz in Remscheid bestätigt: deutsche Aufklärungsbehörden kamen an den Ort des Unglücks nur schwer heran, amerikanisches Militär hatte abgesperrt. Für den 20jährigen ist deswegen ein „Freiheitskampf“ nicht nur in Südkorea und in Irland, sondern auch in Deutschland angesagt - er ist dafür, daß „die Besatzer“ rausfliegen in Ost und West und „Deutschland wiedervereinigt“ wird. Und so „interessiert“ er sich dafür, „wie es im nationalen Lager aussieht“. Deswegen kämpft die FAP, so weiß er, „für die Freiheit ihres Landes“, Vorsichtig setzt er sich von der Kühnen-Gruppe ab, will, jedenfalls heute, kein „Hitlerist“ mehr sein.

Aufgefallen war Henrik O. vor Jahren, als er in den Wallanlagen ein Hakenkreuz sprühte und prompt erwischt wurde. Eine „idiotische Handlung“, findet der Schüler heute, er habe „irgendwie auffallen“ wollen und die Sache dadurch bereinigt, daß er die Farbe wegputzte.

Vor zwei Jahren hatte Henrik O. dann für die FAP im Wahlkampf den Kleistereimer geschleppt und war beim Überkleben von CDU-Plakaten erwischt worden. Die Jugendgerichtshilfe war damals zu dem Ergebnis gekommen, daß der Junge aus „Su

che nach Anerkennung“ gehandelt habe, daß er eine „provokative Haltung gegenüber dem Vater“ suchte und die FAP dies ausgenutzt habe.

Aber ein Jahr später fiel der Schüler wieder der Polizei in die Hände: Am 18. Januar 1988, dem „Reichsgründungstag“ Bismarcks, wollte er zusammen mit anderen einen Kranz am Bismarck-Denkmal hinlegen und - „um das kenntlicher zu machen“, eine schwarz-weiß-rote Fahne dazu. Zwar stand der, der damals den „Führer“ zu spielen suchte, mit einem Holzknüppel in der Nähe, aber „eher zufällig“, sagt der Angeklagte. Die Aktion sei „von ganz normalen Jugendlichen“ geplant worden, die, natürlich, „national eingestellt“ seien, viele gehörten zur „Nationalen Front“. Warum? Früher seien die „Jungen Nationaldemokraten“ der NPD immer am Bismarck-Tag aktiv geworden - aber „da die nichts mehr auf die Beine stellen, dachten wir, machen wir eben was.“ Der Anwalt des Schülers, selber auf dem konservatven Eck des politischen Spektrums angesiedelt, fragt: „Ist das ein Verbrechen?“ Henrik O. hatte eine Schreckschußpistole in der Tasche - „eher zufällig“ redet er sich heraus. Aber ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetzt ist es allemal.

Wenn er das Abitur hat, will der Schüler erstmal zur Bundeswehr - ob er da länger bleiben will, weiß er noch nicht. „Da hoffe ich, daß ich Spaß haben

werde“, erklärt er dem Richter. Freunde hätte „ganz lustige Eindrücke“ berichtet, obwohl er nicht einer von denen sei, die Spaß am Strammstehen habe.

Der Richter will dem jungen Mann, auch im Hinblick auf die Bundeswehr, „nichts in den Weg legen“. „Was die Schule und andere Institutionen, deren Aufgabe die politische Aufklärung ist, nicht geschafft haben, das schaffen wir hier auch nicht“, meint Staatsanwalt von Bock. Da der tatsächlich eingetretene Schaden - vielleicht ein Dutzend beschädigter CDU-Wahlplakate

„nicht so gravierend“ war, stimmt er einer Einstellung des Verfahrens zu - gegen die Auflage, vier Tage in einer gemeinnützigen Einrichtung zu arbeiten und 50 Mark zu zahlen. An Greenpeace hätte die der Schüler gern gegeben, aber da ist der Staatsanwalt vor: „Greenpeace begeht mir zuviele Straftaten“. Der World Wild-Lifefund (WWF) soll nun von der Zahlung begünstigt werden.

Der Richter empfiehlt ihm die Lektüre von Sebastian Haffners „Von Bismarck zu Hitler“.

K.W.

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