: Bild-Korrektur-betr.: "Rücksichtsvoll zum Frauenwahlrecht", taz vom 5.12.88
betr.: „Rücksichtsvoll zum Frauenwahlrecht“,
taz vom 5.12.88
Die Aussage, „die Frauen“ wählten in der Weimarer Republik konservativ beziehungsweise rechts, ist mir ein zu plakativer und klassenunspezifischer Vorwurf. Daher zum politischen Verhalten insbesondere der proletarischen Frauen einige Anmerkungen, die das von H.Soltau skizzierte Bild etwas korrigieren sollen:
Die Erfahrungen als Fabrikarbeiterinnen und Alleinverantwortliche für ihre Kinder während der Kriegsjahre, hatten auf Frauen aus der Arbeiterschaft zunächst durchaus politisierend gewirkt. Unmittelbarer Ausdruck dafür war in den ersten Nachkriegsjahren eine starke Zunahme von weiblichen Mitgliedern in den Arbeiterorganisationen, wie zum Beispiel in der SPD und in den freien Gewerkschaften (z.B. Frauenanteil im ADGB: 1914 9,9 Prozent, 1919 - 21,8 Prozent). Für ein gewachsenes politisches Interesse spricht auch eine extrem hohe Wahlbeteiligung der Frauen zur Nationalversammlung 1919 (80 bis 90 Prozent), bei gleichzeitig sehr hoher Stimmabgabe für sozialistische Parteien. Diese positive Tendenz hielt aber nur kurze Zeit an. Bis 1924/25 ist sogar ein extrem hoher Rückgang sowohl weiblicher Wählerstimmen (20 bis 30 Prozent) zum Reichstag, als auch weiblicher Mitglieder in Arbeiterorganisationen (z.B. bei der SPD von 1919-1923 um ca. zehn Prozent) zu verzeichnen.
Wahlenthaltung haben vor allem proletarische Frauen geübt. Sehr schnell und resigniert zogen sich diese Frauen aus der „Politik“ zurück. Hauptursache waren ihre enttäuschten Hoffnungen auf weiterreichende gesellschaftliche Veränderungen, vor allem auf Verbesserungen ihrer ökonomischen Lage. Daß sich die gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen auch nach ihrer verfassungsrechtlichen Gleichstellung fortsetzen sollte, dafür stand insbesondere die Demobilmachungspolitik von 1919 -22, die auch von den Arbeiterorganisationen, insbesondere den Gewerkschaften mitgetragen wurde. Folge dieser Politik war eine rigorose Entlassung von Millionen von Frauen oder ihre Zurückdrängung in gering qualifizierte und schlechter bezahlte Erwerbsbereiche zugunsten der heimkehrenden Soldaten. Den proletarischen Frauen wurde sozusagen von ihren eigenen Organisationen beim Eintritt in die Republik mit der einen Hand der Wahlzettel, mit der anderen Hand der Entlassungsbrief überreicht.
Diese Unterstützung einer massiv frauenfeindlichen Politik gilt bislang als der entscheidende Grund für den massiven Rückzug der Frauen aus den Arbeiterorganisationen. Da es für sie als durchaus klassenbewußte Frauen keine andere parteiliche Perspektive gab - proletarische Frauen sind weder je im Lager der Nationalkonservativen noch der NSDAP zu finden gewesen - praktizierten sie Wahlenthaltung. Aus ihren noch zu kurzen politischen Erfahrungsmöglichkeiten griffen sie nicht zu alternativen politischen (z.B. außerparlamentarischen) Betätigungsmöglichkeiten, sondern zogen sich resigniert vom politischen Leben wieder zurück.
Massiv erschwerend für die politische oder gewerkschaftliche Aktivierung von proletarischen Frauen war daneben ihre Doppel- und Dreifachbelastung. Das auch in der Arbeiterbewegung vorhandene (bürgerliche) Leitbild der „modernen Kleinfamilie“ mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung war Ursache, daß Männer auch in Arbeiterfamilien selbst bei eigener Arbeitslosigkeit keine Unterstützung in der Haushaltsorganisation und Kindererziehung leisteten. Aber gerade diese Arbeitsentlastung in der Hausarbeit hätte erwerbstätigen Frauen ein gesellschaftliches Engagement überhaupt erst ermöglicht.
Als in den Arbeiterorganisationen ab 1926 die dringende Notwendigkeit der Politisierung der breiten Masse linker Frauen aufgrund der Bedrohung von rechts erneut diskutiert wurde, waren es genau die zwei Komplexe des frauenfeindlichen Verhaltens in der Arbeiterschaft - die Diskriminierung der Frauen in der Erwerbsarbeit auch durch Genossen und Betriebsräte und die Ausbeutung in der Hausarbeit auch in Arbeiterfamilien -, die den Genossen als gravierendes politisches Fehlverhalten vorgeworfen wurde. Eine veränderte Praxis ließ auch Ende der zwanziger Jahre auf sich warten. Es gab keinen mehrheitlichen Widerstand seitens der Arbeiterbewegung gegen die durch die Notverordnungen seit 1930 eingeschränkten sozialen Rechte der arbeitenden Frauen (z.B. entfielen durch diese Regelungen häufig Arbeitslosen- und Sozialversicherung für verheiratete erwerbstätigte Frauen).
Und die SPD stimmte - trotz gegenteiliger programmatischer Forderungen zur uneingeschränkten Erwerbsarbeit auch für verheiratete Frauen - im Mai 1932 im Reichstag einem verfassungsändernden Gesetz zu, wonach das bisher unkündbare Dienstverhältnis der verheirateten Frauen im öffentlichen Dienst in ein kündbares verwandelt wurde. Entsprechende Entlassungen von Frauen im Oktober 1932 folgten.
Für die Frauen aus der Arbeiterklasse gab es mit dieser widersprüchlichen Politik der Arbeiterorganisationen keinen Bündnispartner in den eigenen Reihen und keine eindeutige politische Perspektive.
Rosemarie Krimmer, Hamburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen