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Parlamentsexperten erschlagen Urlauber

Touristikmanager als Naturschützer / 74 Schleswig-Holsteiner Feriengäste wurden zur „Parlamentssitzung“ nach Frankfurt eingeladen / Ergebnis: Selbstlob der Profi-Politiker, Rindfleischsuppe und Resolution für „ParlamentarierInnen“  ■  Aus Frankfurt Martina Keller

Das Schauspiel, das der Fremdenverkehrsverband Schleswig -Holstein in der illustren Alten Oper von Frankfurt inszeniert, heißt „Urlauberparlament“. 74 „ParlamentarierInnen“ - gerade soviel wie tatsächlich im schleswig-holsteinischen Landtag sitzen - sind aus allen Teilen der Bundesrepublik angereist. Sie vereint die Tatsache, daß sie mindestens einmal in den letzten drei Jahren in Schleswig-Holstein Urlaub gemacht haben. Ein Präsident präsidiert mit Glöckchen. Vier Wissenschaftler geben Statements und drei echte Politiker auch.

Das „Urlauberparlament“ ist eine Werbeveranstaltung für den Naturschutz, sagen die Veranstalter vom Fremdenverkehrsverband. In der Saisonpause an Nord- und Ostsee soll das Parlament die Funkstille in den Medien durchbrechen. Das wird gelingen, denn über 40 Journalisten sind auch angereist. Auf den Ort Frankfurt verfiel man wegen seiner zentralen Lage inmitten der Republik.

Im „Urlauberparlament“ sollen „Einheimische und Gäste“, so der Vorsitzende des Fremdenverkehrsverbandes Volker Steffens zur Begrüßung, „gegen die Zerstörung der Umwelt und eine energische Lobby gebildet werden.“ Das Engagement der Tourstikmanager für die Natur kommt nicht von ungefähr. Im Verband hat sich seit einiger Zeit die Erkenntnis durchgesetzt, daß das Kapital der Fremdenverkehrsindustrie im nördlichsten Bundesland eine intakte Umwelt ist.

107 Urlauber hatten sich nach den Aufrufen des Fremdenverkehrsverbandes in der Presse für das Urlauberparlament gemeldet. 74 wurden unter notarieller Aufsicht ausgelost. Helmut und Hilde Heinzelmann, 71 und 63 Jahre alt, kommen aus Gaggenau bei Baden-Baden. Seit 32 Jahren, erzählt Helmut Heinzelmann, fahre die Familie zum Urlaub nach Sylt. In diesem Jahr sahen sie die Seehunde sterben. Das Ehepaar reihte sich ein in die Menschenkette auf Sylt „zur Rettung der Nordsee“. „Ich hab‘ mich meiner Tränen nicht geschämt“, sagte Hilde Heinzelmann. Die Heinzelmanns wollen Sofortmaßnahmen. Töpfers zehn Millionen für die Nordsee, das sei doch nur ein Klacks, sagen sie: „Der Töpfer muß sich doch ein bißchen mehr durchsetzen.“ Der Töpfer, als er später redet, findet, daß er sich ganz prima durchgesetzt habe. Etwas blaß, mag sein wegen Grippe, sitzt der Bundesumweltminister auf dem Podium. Seine Bilanz der Bonner Nordsee-Politik ist um so rosiger: „In den allermeisten Bereichen der Urlauberpolitik ist die Bundesrepublik in Europa zum Antreiber und Vorreiter geworden“, sagt Töpfer. Den ParlamentarierInnen werden die Ohren heiß vom Zuhören. Vor den Politikern sind die Wissenschaftler an der Reihe: Planktologe Horstmann und Seehundexperte Heidemann erläutern den bedenklichen Zustand von Nord- und Ostsee. Hygieniker Gundermann und Hautspezialist Sterry erklären dagegen, daß das Baden in beiden Meeren ungefährlich sei. Die Stunde der UrlauberInnen ist noch nicht gekommen. Geduldig hören sie den Experten zu, blättern in ihren Unterlagen, machen sich Notizen.

In der Mittagspause, bei Rindfleischsuppe und Roter Grütze auf Rechnung der Veranstalter, äußert der ehemalige Marinesoldat Günther Mass Unmut: „Irgendwie hängt mir das Ganze zum Halse heraus“, sagt der begeisterte Föhrianer, der zweimal im Jahr wegen Schuppenflechte an die See fährt. „Die wissen genau, wo die Ursachen sind, aber es geschieht nichts.“ Anja Nuhn, 18jährige Schülerin aus Wuppertal, ist gespannt auf den Nachmittag: „Mal sehen, wie die auf kritische Fragen reagieren.“

Es wird eine ruhige Diskussion. Die Mehrzahl der ParlamentarierInnen scheint erschlagen von den Statements des Vormittags. Wenige Unruhestifter fühlen den Experten und Politikern auf den Zahn. Einen Ausrutscher erlaubt sich Hautspezialist Sterry. „Lassen Sie sich das von Fachleuten sagen, die mehr davon verstehen als Sie“, weist er eine Urlauberin zurecht. Die Frau hatte zu bezweifeln gewagt, daß bei Nord- und Ostseebadenden in dieser Saison keinerlei Hautreizungen beobachtet wurden. Nach gut einer Stunde wird die Diskussion abgebrochen, weil noch eine Resolution verabschiedet werden soll.

Die Resolution, die schließlich mit nur einer Gegenstimme angenommen wird, richtet sich an alle: Verbraucher wie Naturschützer, Wissenschaftler und Politiker, Bund und Länder, Gemeinden, die Industrie, den Fremdenverkehr. Gefordert wird ziemlich allgemein ziemlich viel.

„Völlig unverbindlich“, kritisiert später auf der Pressekonferenz ein Journalist. Gerd Kramer, Direktor des Fremdenverkehrsverbands Schleswig-Holstein, sieht das anders: „Die Veranstaltung soll schließlich nicht darin gipfeln, daß jemand an den Pranger gestellt wird.“ Der Fremdenverkehrsverband hatte vorgesorgt: Die Resolution wurde im Vorfeld mit den Umweltministerien in Bonn und Kiel abgestimmt.

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