: Ein Berliner V-Mann packt aus Geheimdienst-Kontrolleur bespitzelt
■ Ein 24jähriger erzählt der taz, wie er auf das Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission für den Verfassungsschutz Pätzold angesetzt wurde / Innensenator Kewenig hatte das bisher empört dementiert / Der V-Mann hatte seit Monaten im Auftrag des Amts spioniert
Berlin (taz) - Der Berliner Verfassungsschutz ist doch eine „Mischung aus Kindergarten und Irrenhaus“. Auch wenn Berlins Innensenator Kewenig genau das unlängst dementierte. Als Ende November erstmals der Verdacht aufkam, das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz lasse ein Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission aushorchen, tat Wilhelm Kewenig empört und sprach sein Irrenhaus-Dementi. Kewenig wird sich korrigieren müssen.
Steffen Telschow, 24 Jahre, DDR-Aussiedler, gab jetzt gegenüber der taz zu, im Auftrag des Verfassungsschutzes das Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) Erich Pätzold (SPD) dreimal besucht zu haben. Entgegen allen Dementis von Innensenator Kewenig steht damit fest: Das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz hatte einen V-Mann auf den Geheimdienst-Kontrolleur Pätzold angesetzt.
Nach Angaben von Telschow ging es dabei darum herauszufinden, aus welchen Quellen Pätzold seine Informationen über Verfassungsschutzinterna bezieht. Aufgefallen war Telschow, nachdem er im Zuge von Demonstrationen gegen die Weltbank-Tagung Ende September wegen eines Steinwurfs verhaftet und im Anschluß an ein Schnellgerichtsverfahren umgehend wieder entlassen wurde mit einer Bewährungsstrafe versehen. Da sich trotz aller Dementis der VS-Verdacht gegen Telschow immer mehr verdichtete, trat er nun gegenüber der taz die Flucht nach vorn an. Telschow erzählte, er habe sich nach seiner Übersiedlung aus der DDR im Februar dieses Jahres bereits im April dem Verfassungsschutz als V-Mann angeboten. Ende August habe er seine Arbeit aufgenommen. Sein Auftrag: Infiltration in den „Randbereich des Terrorismus“. Dazu gehörten Treffen von Gegnern der IWF- und Weltbank-Tagung, die Infiltration einer sogenannten Gruppe „Proletarische Aktion“ und einer freien Schule im Kreuzberger Alternativzentrum Mehringhof.
Auf Pätzold ging Telschow erstmals Anfang November von sich aus zu, nachdem dieser in einer Sitzung des Berliner Innenausschusses den Verdacht geäußert hatte, der Verfassungsschutz beschäftige einen verurteilten Steinewerfer. Unter dem Vorwand, Pätzold von seiner Unschuld überzeugen zu wollen, besuchte er den SPD-Politiker dann dreimal in seinem Abgeordnetenbüro - um anschließend umgehend seinem V-Mann-Führer „Max Fock“ Bericht zu erstatten. Den zweiten und dritten Anlauf bei Pätzold unternahm Telschow auf ausdrücklichen Wunsch seines V-Mann -Führers. „Er fand das gut, daß ich zu Pätzold gegangen bin, und hat gesagt: Geh‘ wieder hin!“ Gegenüber der taz erklärte sich Steffen Telschow bereit, seine Aussagen auch vor dem Untersuchungsausschuß des Berliner Parlaments zum Verfassungsschutz zu wiederholen. Der Untersuchungsausschuß hat sich am Dienstag dieser Woche konstituiert und wird am Freitag erstmals in öffentlicher Sitzung tagen. Tagesthema Seite 3
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