: Alles so schön bunt hier
■ In Unser Lieben Frauen, wo Nacht Licht wird und Luther die Depression vertreibt
Unser Lieben Frauen mag die Senatskirche sein, aber sie ist, aus der Arme-Sünder-Perspektive der immer und ewig Zuspätkommenden, die sozialste. Martini und der Dom nämlich schließen die letzten aus und die ersten ein, um letztere vor touristisierender Schaulust zu bewahren. Vor Unser Lieben Frauen weist nur ein Schild drauf hin, daß drinnen Gottesdienst ist, und läßt auch mich hinein, die ich trotz Kirchenaustritts vom berggepredigten Versprechen nicht loskomme, daß die Letzten die Ersten sein werden.
Was Wunder also, daß ich drinnen alles so schön fand: die Stimme von Pastor Duensing so warm, daß selbst der „Dr.“ draußen auf der Ankündigung kaum noch hoffärtig wirkt, die Predigt über Joh. 1, 19 - 23, wo der Prediger in der Wüste aufruft, dem Herrn den Weg zu bereiten, so angenehm unpastoral gesprochen, die Kirche so schön geheizt, die Moden so vertraut, nur eine Wollmütze, aber viel gutes graues und schwarzes Wolltuch und die Orgel, ach, die Orgel so orgelig, und daß die Evangelischen immer noch nicht singen können, ist ihnen nicht vorzuwerfen, weil wir's, auch hier in Lieben Frauen - in der Reformationszeit mit all dem restlichen papistisch-magischen Zauber gründlich, wenn nicht verboten, so doch gedrosselt gekriegt haben. Der grauhaarige Pastor redet, was bestimmt nicht falsch ist, (daß der weihnachtliche Jesus nicht bei uns sein wird, wenn wir nicht ein Stück Kummer und Not an uns heranlassen und nicht nur von denen da im fernen Armenien, sondern auch von jemand sehr anstrengenden Alten in der eigenen Familie), er fürbittet auch für die, die depressiv sind und die, die mit ihnen umgehen. Kirchesitzen ist schön, das bißchen Außen -Graulicht wird bunt beim Fall durch die Fenster, und all die schöne Ruhe, die Gedanken ein bißchen schweifen zu lassen. Ob die Lutherzeitler wohl verstanden haben, was der Martin ihnen da übersetzt hat, in „Nun komm, der Heiden Heiland,“ wo es dann heißt: „der Jungfrauen Kind erkannt“. Beischlafen kann „erkennen“ hier nicht heißen wie sonst bei Luther, wenn es sich um das „Erkennen“ von Weibern handelt. Vielleicht „auserwählt?“ Egal, wir singens ja nicht wegen der Erkenntnis, sondern wegen Advent. Und auch, weil Luthertexte so gut gegen Depression helfen. Wir singen „Dein Krippen glänzt hell und klar / die Nacht gibt neu Licht dar. / Dunkel muß nicht kommen drein, der Glauben bleibt immer im Schein.“ Ist nicht mehr so. „Die Nacht“ gibt inzwischen Stoff für sechs Stunden Syberbergsche Fernsehfeier der Endzeit, ohne die Hoffnung, daß grad wir durch Gnade ausgenommen werden. Dennoch: in Unser Lieben Frauen verabschiedet Dr. Duensing die Gemeinde mit Handschlag.
Uta Stolle
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