: Große Koalition als Antwort auf die PLO
■ Angesichts des zunehmenden Drucks von außen rückt das israelische Partei-Establishment erneut zusammen
Eigentlich fiel die Entscheidung für die Neuauflage der großen Koalition in Israel in Washington. Spätestens seit Reagan seinem Botschafter in Tunis grünes Licht für direkte Verhandlungen mit Arafat gab, stand in Jerusalem fest, daß jetzt erneut eine Regierung der „nationalen Einheit“ das Gebot der Stunde ist. Nach dem Motto „Je breiter, je besser“ sollen nun möglichst alle relevanten Parteien koalieren, damit die israelische Ablehnungsfront nicht durch Stimmen aus den eigenen Reihen aufgelöst wird.
Nach acht Wochen Verhandlungen waren am Montag abend die Würfel gefallen: Die neue Regierung in Isreal wird im wesentlichen die alte sein.
Israels Regierung, so Ministerpräsident Shamir als Begründung für die Neuauflage der großen Koalition zwischen Likud-Block und Arbeitspartei, müsse stark und breit genug sein, um dem internationalen Druck Widerstand leisten zu können: „Im Kampf um Judäa und Samaria werden die nächsten beiden Jahre entscheidend sein.“
Mit Verweis auf die politische Offensive der PLO und den Schwenk der USA gelte es jetzt, eine Regierung der „nationalen Einheit“ zu bilden, in die Shamir nach wie vor auch die drei größten orthodoxen und nationalreligiösen Parteien einbinden möchte.
Die geben sich jedoch erst einmal düpiert. Sie fühlen sich von Shamir betrogen, da Likud die Möglichkeit einer kleinen Koalition offenbar nur durchgespielt hat, um die Arbeiterpartei unter Druck zu setzen. Dennoch drängt es die Religiösen weiter zu einer Beteiligung an der Macht.
Noch sind die Koalitionsverträge mit der Arbeitspartei nicht unterschrieben und noch gibt es Spielraum, um mit finanziellen Zugeständnissen einen Teil der Orthodoxen einzubinden. Außerdem sieht sich Shamir mit einer heftigen innerparteilichen Opposition konfrontiert. Der ehemalige Verteidigungsminister Ariel Sharon und seine Anhänger fühlen sich durch das Shamir-Peres Abkommen ausgebootet und werden in den zentralen Parteigremien, deren Bestätigung noch aussteht, gegen die Vereinbarung Front machen.
Sharon und andere Führer des harten rechten Flügels innerhalb des Likud-Blocks hätten ihre politischen Ziele und persönlichen Ambitionen in einer kleinen Koalition wesentlich leichter befriedigen können.
Heftiger Protest
gegen Shamir
Der Konflikt hatte sich bereits an der Besetzung des Verteidigungsministeriums festgemacht. In einer scharfen öffentlichen Auseinandersetzung untermauerte Sharon seinen Anspruch mit dem Hinweis, die Armee verlange einen Likud -Chef, um endlich die Intifada, den Palästinenseraufstand, mit harten Mitteln zu beenden. Darüber hinaus macht Sharon keinen Hehl daraus, daß das Verteidigungsministerium für ihn das Sprungbrett zum Posten des Ministerpräsidenten ist.
Gegenüber den Konflikten innerhalb des Likud-Blocks präsentiert sich die Arbeitspartei relativ geschlossen. Innerhalb des Zentralkomitees gibt es eine klare Mehrheit für die neuerliche Auflage der großen Koalition und damit auch für den Kurs von Peres und Rabin.
In Israel wird jetzt damit gerechnet, daß bis zum Wochenende das Koalitionsabkommen unterzeichnet und Anfang nächster Woche Staatspräsident Herzog die neue Ministerriege präsentiert werden kann.
Charakteristisch für die politische Situation ist, daß es bis heute keinerlei Regierungsprogramm gibt, auf das Likud und Arbeitspartei sich verständigt hätten.
Erst in der Nacht von Montag auf Dienstag begannen die ersten Verhandlungen, in denen die Grundlinien der neuen Koalition formuliert werden sollen.
Immobilität bleibt
weiter festgeschrieben
Hilfsweise wurde bislang erst einmal auf ein Provisorium zurückgegriffen: Das zukünftige Programm dürfe von der bisherigen Regierungsposition nicht wesentlich abweichen, und die Anzahl neuer jüdischer Siedlungen in den besetzten Gebieten soll für 1989 auf acht „beschränkt“ werden. Die Religiösen hatten in den Verhandlungen mit Likud auf 40 neue Wehrsiedlungen gedrängt, die allein im kommenden Jahr gebaut werden sollten.
Der Abstimmungsmechanismus innerhalb der Koalition sieht vor, daß wichtige politische Entscheidungen in einem paritätisch besetzten „inneren Kabinett“ gefällt werden müssen - eine Konstruktion, die den Immobilismus der letzten Jahre erneut festschreibt. Für den Fall, daß eine der beiden Parteien beschlösse, die Koalition zu verlassen, hat man sich bereits jetzt darauf geeinigt, Neuwahlen auszuschreiben.
Der Entwurf des Koalitionsabkommens sieht für jeden Partner zehn Ministerposten vor - davon je zwei ohne festen Geschäftsbereich. Falls die religiösen Parteien in die Regierung eintreten, werden ihnen vier bis fünf Ministerposten angeboten - darüber hinaus werden sie aber in einem Dutzend Ministerien an entscheidenden Stellen vetreten sein.
Unter dem Strich handelt es sich bei dem gesamten Manöver eher um eine Regierungsumbildung als eine Konstituierung einer neuen Regierung.
Neben dem Ministerpräsidentenamt für Shamir steht die Besetzung der drei weiteren wichtigsten Posten der zukünftigen Regierung fest. Der bisherige Außenminister Shimon Peres wird sein Amt an den Likud-Mann Mosche Arens abgeben und statt dessen das für die Arbeiterpartei ebenfalls wichtige Finanzministerium übernehmen. Jitzhak Rabin (Arbeitspartei) bleibt dagegen Verteidigungsminister.
Vor dem neuen Gespann liegt ein ganzer Berg von Problemen. Außer der außenpolitischen Herausforderung durch die PLO und die Vereinten Nationen muß die neue Regierung dringend die marode Wirtschaft sanieren. Außerdem wollen die beiden großen Parteien endlich eine Wahlrechtsänderung durchsetzen, die zukünftig die Rolle der kleinen Parteien zurückdrängen soll.
Als Antwort auf die PLO will Peres einen eigenen Plan vorlegen, um die israelische Regierung international aus der Defensive herauszuführen.
Amos Wollin
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