Bhuttos Apologetik

■ Benazir Bhuttos Autobiographie - zuviel Schönfärberei

Munir D.Ahmed

Benazir Bhutto hat über die Leidensgeschichte ihrer Familie ein Buch geschrieben. Sie zeichnet darin die Zeit seit Bhuttos Vertreibung von der Macht im Juli 1977 durch einen Militärputsch minutiös nach. Es ist wie jede Autobiographie ein subjektives Buch, in dem mit der Wahrheit nicht sehr behutsam umgegangen wird.

Zum Beispiel soll Bhutto als erster Pakistan die Demokratie gebracht haben, nachdem das Land seit seiner Gründung 1947 von den Generälen repressiv geführt worden war. Abgesehen davon, daß Pakistan bis zur Machtübernahme durch den damaligen Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Ayub Khan, 1958 eine leidlich funktionierende Demokratie war, vergißt Benazir, daß ihr Vater seinen Eintritt in die Politik eben diesem Militärdiktator verdankte, der den damals völlig unbekannten Bhutto in seine Ministerriege aufnahm. Während der nächsten acht Jahre gehörte Bhutto der verhaßten Militärregierung an.

Benazir schreibt ihrem Vater den Verdienst zu, in der Verfassung von 1973 die Menschenrechte zum ersten Mal garantiert zu haben. Sie übersieht dabei, daß die besagten Artikel während der gesamten Regierungszeit von Bhutto außer Kraft gesetzt waren. Und es hat vor Bhutto keinen anderen Regierungschef in Pakistan gegeben, der die Menschenrechte so gering geachtet hat wie er. Gleich nach seiner Amtsübernahme stellte er die Federal Security Force (FSF) auf, die ihm direkt unterstellt war, und deren alleiniger Zweck war, mißliebige Personen zu verhaften, zu mißhandeln und umzubringen. Bhutto richtete in Dalaikamp ein Konzentrationslager ein, wo Menschen ohne Gerichtsbeschluß in Gefangenschaft gehalten und gefoltert wurden. Erst nach dem Militärputsch kamen sie frei, und die Weltöffentlichkeit erfuhr von der Existenz des Lagers.

Benazir rühmt die Landreform, die ihr Vater durchführte. Die Obergrenze für den zulässigen Landbesitz pro Person betrug 150 Acres. Aber Bhuttos Landbesitz war am Ende seiner Amtszeit um das Sechsfache angewachsen, wo es eigentlich hätte sich verringern müssen. Nein, die ganze Landreform war ein Betrug. Gerade die Großgrundbesitzer, zu denen Bhutto gehörte, und wie seine Tochter schreibt, deren Landbesitz nicht nach Acres, sondern nach Meilen bemessen wird, wußten sich dem Zugriff des Staates zu entziehen.

Benazir spricht ihren Vater vom Vorwurf der Manipulationen bei den Wahlen vom März 1977 frei. Gewiß hätte er die Wahlen auch ohne jegliche Manipulation gewonnen. Aber die ersehnte Zweidrittelmehrheit, die benötigt wurde, damit die ursprünglich von ihm gewollte Präsidialverfassung mit weitreichenden Befugnissen für den Präsidenten herbeigeführt werden konnte, war ohne die Wahlmanipulation nicht möglich.

Benazirs Buch wird Bhutto vor der Geschichte nicht reinwaschen können. Er war am Auseinanderbrechen Pakistans nicht minder beteiligt als Sheikh Mujib ur-Rahman. Er war es, der verhinderte, daß Mujib als Sieger der Wahlen von 1970 das Premierministeramt übernehmen konnte.

Und zu sagen, daß er wegen der fehlenden Verfassung gezwungen war, als erster Zivilist in der Welt mit dem Kriegsrecht zu regieren, ist schlicht falsch. Bereits vier Monate nach seiner Amtsübernahme wurde die Interimsverfassung verabschiedet, aber das Kriegsrecht dauerte 20 Monate, sogar noch, nachdem eine permanente Verfassung im April 1973 erlassen worden war.

Auch die Darstellung der Ereignisse nach den manipulierten Wahlen von März 1977 entspricht nicht den Tatsachen. Bhutto verschleppte wochenlang die Verhandlungen. Und als die Militärspitze ihn zur politischen Lösung des Problems drängte, schlug er die Ratschläge in den Wind. Die Gespräche zwischen der Regierung und der Opposition am Vortage des Militärputsches waren nicht erfolgreich gewesen, wie Benazir behauptet. Asghar Khan hatte die Kompromißlösung abgelehnt. Deshalb dachten viele anfänglich, daß Bhutto hinter dem Putsch von Zia-ul-Haq stecken könnte.

Benazirs Buch ist als Zeitdokument von unermeßlichem Wert. Es zeigt, mit welcher Brutalität der im Westen als „gütiger Diktator“ verharmloste Zia-ul-Haq gegen die Zivilisten vorgegangen ist. Politiker, Studenten, Journalisten, auch Frauen wurden ausgepeitscht, in Einzelhaft gehalten, mißhandelt und gefoltert.

Ein Patentrezept dafür, wie die Armee davon abgehalten werden kann, sich in die Landespolitik einzumischen, gibt es nicht. Auch Bhutto, dem dieses Problem auf den Nägeln brannte, wußte keinen Rat. Den Journalisten verriet er nach dem Putsch, daß er sich mit der Geschichte Napoleons beschäftigte, um zu erfahren, wie der Korse es fertigbrachte, seine Generäle im Zaum zu halten, wo ihm selbst das mißlungen war.

Bhutto glaubte, daß eine Armee, die im Dezember 1971 vor den indischen Truppen in Dacca kapitulierte, es sich nicht mehr leisten kann, nochmals zu putschen. Er wollte deshalb aus der Niederlage Kapital schlagen und ließ sich mit den Verhandlungen über die Freilassung von 93.000 Kriegsgefangenen mehr als drei Jahre Zeit. Die Streitkräfte empfanden dies als Demütigung. Die Entscheidung, gegen die Zivilregierung zu putschen, wurde nicht alleine von Zia-ul -Haq getroffen, sondern vom ganzen Generalstab des Heeres.

Bhutto hatte ganz richtig gesehen, daß „die Streitkräfte die Macht nicht übernehmen, um sie gleich wieder abzugeben“. Er erwartete keine baldigen Wahlen. Seine Befürchtungen machte Zia-ul-Haq wahr, der auf jeden Fall verhindern wollte, daß Bhuttos Pakistianische Volkspartei (PPP) jemals wieder an die Macht kommt.

Die PPP wird von der Bhutto-Familie als ein Familienunternehmen geführt. Bhuttos Nachfolge ging automatisch an seine Frau Nusrat und später an die Tochte Benazir über. Es gibt keine parteiinternen Wahlen oder innerparteiliche Demokratie. Zia-ul-Haq brauchte die beiden Damen nur lange genug in Haft oder in Hausarrest zu halten, um sicherzustellen, daß die PPP seinem Regime nicht gefährlich werden konnte. Die beschämende Behandlung der Bhutto-Damen, deren Beschreibung den größten Teil des Buches ausmacht, ist zu bedauern. Wie schlimm es den weniger prominenten PPP-Frauen und -Männern in den Folterkammern des unmenschlichen Zia-Regimes ergangen sein mag, kann man nur mutmaßen. Es ist zu hoffen, daß Benazir daraus lernt, und wenn sie einmal die Macht erringen sollte, dafür sorgt, daß in den pakistanischen Gefängnissen niemand mehr gefoltert wird.

Daß die westliche Welt Zia als einen Freund und Helfer der afghanischen Mudjahedin versteht und seinen Tod bedauert, steht auf einem anderen Blatt. Das Afghanistan-Problem war für ihn ein Geschenk des Himmels, das seinem Regime die dringend benötigte Respektabilität und Akzeptanz in der Welt verschaffte. Es floß viel Geld nach Pakistan, und die modernsten Waffen nahmen den Weg zu den Mudjahedin über Islamabad, wo ein Großteil, wie Benazir schreibt, bei den Pakistanischen Militärs steckenblieb. Der Westen hat Zia seine mittelalterlichen Gesetze verziehen, um ihn bei Laune zu halten, damit der Stellvertreterkrieg weitergehen konnte.

Benazir Bhutto: Daughter of the East. An Autobiography.

Hamish Hamilton, London 1988. 333 S., 12.95 £