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Namenlose Dynamos

Dynamo Windrad Kassel: Internationaler Sportvergleich statt Aufnahme in den Sportbund der DDR  ■  PRESS-SCHLAG

Wir treffen uns im Feld hinter dem Dynamo“, pflegt Bruce Springsteen frisch von der Leber weg zu singen und hat Glück, daß er damit bisher ungestraft durchkam. Während Meyers Konversationslexikon von 1895 den „Dynamo“ nämlich nur schlicht für eine „zur Erzeugung elektrischen Stroms dienende Maschine“ hält, kamen bundesdeutsche Gerichte zu einem ganz anderen Schluß. Am 10. Mai 1985 urteilte das berüchtigte Oberlandesgericht Frankfurt im Falle der Namensgebung des Fußballvereins „Dynamo Windrad“ aus Kassel endgültig und vernichtend: „Dynamo ist die Manifestation einer politischen Ausrichtung nach den Vorbildern des Ostblocks.“ Das Dynamo-Verbot des Hessischen Fußballverbandes wurde damit bestätigt.

Bereits damals mutmaßte die taz, daß es in Zukunft wohl nur noch unter größter Gefahr möglich sein werde, „ein Fahrradgeschäft zu betreten und eine Erneuerung der Lichtanlage in die Wege zu leiten“. Das Bundesverfassungsgericht gab am 5. September 1988 einer solchen Befürchtung neue Nahrung, indem es trotz der sowjetischen Dreifaltigkeit Perestroika, Glasnost und Gorbatschow die Verfassungsbeschwerde von „Dynamo Windrad“ mit der heimtückischen Begründung abwies: „Eine politische Diskriminierung ist schon deshalb nicht gegeben, weil der Landessportbund nicht nach politischen Anschauungen differenziert.“ Eine dummdreistere Argumentation war nicht einmal dem Oberlandesgericht Frankfurt eingefallen.

Dynamo Windrad reagierte sofort und suchte um Aufnahme in den Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) der DDR nach. „Um eine neue sportpolitische Heimat zu finden, haben die Mitglieder unseres Vereins die Entscheidung getroffen, den Versuch zu unternehmen, in einer Liga der DDR Fußballsport zu betreiben.“ Der DTSB durchkreuzte indes kurz vor Weihnachten diese salomonische Lösung eines grenzüberschreitenden Problems. Eine Mitgliedschaft im DTSB sei nur für Bürger der DDR möglich, wurde den Kasseler Kickern mitgeteilt, gewissermaßen als „Entschädigung“ fügten die Sportfunktionäre des Ostens jedoch die Einladung zu einem „internationalen Sportvergleich“ bei. So können die geplagten hessischen Fußballer wenigstens einmal ihren Namen tragen.

Matti

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