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Glasnost-Enklave in Ost-Berlin

■ „Russenbilder - Berlin 1945“ in Karlshorst (Ost-Berlin)

Bis zum 19.Januar 1989 wird im sowjetischen Militärmuseum im Ostberliner Bezirk Karlshorst die Foto-Ausstellung „Russenbilder - Berlin 1945“ gezeigt. Zusammengestellt und konzipiert wurde sie von der Westberliner Geschichtswerkstatt, einem Zusammenschluß von geschichtsinteressierten Jungakademikern.

Im Sommer diesen Jahres war die Ausstellung, die vor allem versucht, Vorurteile gegenüber den Russen aufzugreifen und zu thematisieren, bereits im Westen der Stadt zu sehen. Der nun praktizierte Kulturaustausch ist bis dato einmalig. Im sowjetischen Militärmuseum gab es bislang keine westlichen Ausstellungen. Allein dieser Umstand, aber auch die Tatsache, daß erstmals das in der DDR wie in der Sowjetunion als Tabu geltende Thema Vergewaltigung aufgegriffen wird, macht die Ausstellung zu einem besonderen Stück Glasnost. Überraschend und wohl auch dem Besatzungsstatuts Berlins ist es zu verdanken, daß diese besondere Glasnost-Enklave der DDR-Bevölkerung nicht vorenthalten werden kann, wie etwa die sowjetische Zeitschrift 'Sputnik‘ oder einige sowjetische Filme. Denn das Museum, ein beliebtes Ausflugziel für DDR -Schulklassen oder Gewerkschaftsgruppen, steht unter sowjetischer Hoheit und entzieht sich damit dem Zugriff der DDR-Behörden.

taz: Eure Ausstellung „Russenbilder - Berlin 1945“, die im letzten Jahr in West-Berlin, und seit einigen Tagen nun sogar in Ost-Berlin zu sehen ist, war von Anfang an eine ganz außergewöhliche, um nicht zu sagen einmalige Ost-West -Kooperation. Wie kam die Zusammenarbeit zwischen der Roten Armee und der keineswegs zum etablierten Kulturbetrieb zählenden Geschichtswerkstatt zustande?

Andreas Hallen: Angefangen hat das alles schon im vergangenen Jahr. Als wir die Ausstellung zunächst nur in West-Berlin planten, da haben wir auch Kontakt zum sowjetischen Militärmuseum in Karlshorst aufgenommen, weil wir wußten: dort gibt es Privatfotos von sowjetischen Rotarmisten. Und Fotos aus dieser Zeit sind in der Tat schwer zu erhalten, denn damals - 1945 - war Fotografieren offiziell verboten. In Karlshorst haben sie uns ohne große Umstände das Archiv angeboten, und wir haben es im Grunde genommen geplündert. Wir konnten haben, was wir wollten. Bis auf ein Foto. Das war ein Bild von Rotarmisten auf einem Panzer vor dem Brandenburger Tor, die ein Glas in der Hand hielten und irgendetwas tranken. Ich denk, das hing mit der Gorbatschow-Kampagne gegen Alkoholismus zusammen. Ansonsten haben wir aber alles gekriegt. Wir haben ihnen von vorneherein erklärt, wir machen eine Ausstellung in West -Berlin zum Thema „Russen 1945“, wir machen auch das Thema Vergewaltigung. Wir wollten Fotos zeigen, die im Westen, aber auch im Osten nicht üblich waren, weil sie einen Rotarmisten zeigen, der nicht nur der Befreier, der tapfere Soldat ist, sondern einer, der keine Uniform anhat, der singt, tanzt, eben einfach Mensch ist. Das war für sie alles kein Problem. Und als unsere Ausstellung dann im Westen gelaufen war, haben uns die Karlshorster eingeladen, die Ausstellung auch im Militärmuseum in Ost-Berlin zu zeigen. Das war für uns schon erstaunlich, daß sie sich auf ein Projekt einlassen, das sie nicht kennen. Wir sind keine Partei, keine Gewerkschaft, wir sind kulturpolitisch nicht zu orten. Die Museumsleitung ist damit für sich eigentlich ein großes Risiko eingegangen.

Das Thema Vergewaltigung wurde dann aber doch ein Problem. Der bis dato einmalige Kulturaustausch schien zu platzen.

Ja, zwei Tage vor Ausstellungsbeginn gab es vom Kommissar für Propaganda, der für alle sowjetischen Ausstellungen in der DDR zuständig ist und den wir bis heute nicht zu Gesicht bekommen haben, keine Genehmigung für das Foto zum Thema Vergewaltigung. Da wir aber darauf nicht verzichten wollten, mußte alles abgeblasen werden. Und dafür, daß die Ausstellung nun doch stattfinden kann, hatte ich mir wenig Chancen ausgerechnet. Ich hatte gedacht es steht 10 zu 90, daß es vielleicht doch klappt. Nach dem Verbot gab es dann fast sechsstündige Verhandlungen mit der Museumsleitung, in denen wir schließlich einen Kompromiß ausgehandelt haben. Entscheidend finde ich, daß es diese Einigung gab und daß wir das Thema trotzdem in der Ausstellung bringen konnten.

Habt Ihr dabei kleinbeigegeben, das Thema abgeschwächt?

Inhaltlich nicht, aber wir haben es vielleicht insofern abgeschwächt, als wir das umstrittene Foto rausgenommen haben. Und mit dem neuen Text, den wir verfaßt haben, kann ich sogar besser leben als mit dem vorhergehenden. Er bringt es mehr auf den Punkt.

Was heißt „besser auf den Punkt bringen“?

Wenn man mit älteren Berlinern redet, dann heißt Rote Armee gleich Vergewaltigung, das wird quasi in einem Atemzug genannt. Und wenn es nicht gesagt wird, so wird es zumindest gedacht. Unser Interesse war, zu benennen, daß es passiert ist. Unser Interesse war weiter, dieses Thema von der Ebene des kalten Kriegs wegzuholen. Dieses Stigma „Rote Armee gleich Vergewaltigung“ in der Neufassung des Textes auf den Punkt bringen, auf den es eigentlich kommen sollte, das ist uns besser gelungen: daß es ein Problem zwischen Mann und Frau ist, was während eines Kriegsrechtes freien Lauf hat. Vergewaltigung ist in Berlin massenhaft passiert, in der französischen Zone, wenn auch nicht ganz so dramatisch, ebenso wie in der russischen Zone. Der Sieger, hier der Rotarmist, holt sich vom besiegten Mann die Beute. Dazu gehört eben auch die Frau. Dieser ganze Zusammenhang, das Problem Mann-Frau, und die Funktionalisierung dieses Tabuthemas im kalten Krieg, kommt jetzt deutlicher zum Ausdruck. In der alten Fassung wird dagegen nur etwas über eine Berlinerin gesagt, die Angst vor Vergewaltigung hat.

Wie verliefen die Vorbereitungen zur Ausstellung in Karlshorst?

In den Gesprächen mit den Majoren hatte ich den Eindruck, daß sie offener sind als wir. Sie haben uns sehr viel gefragt, zunächst über unser Geschichtsverständnis, Politik usw., aber auch bis hin zur persönlichen Lebenssphäre. Sie haben einfach ein Rieseninteresse gezeigt. Man merkt, daß von sowjetischer Seite ein großer Schritt Richtung Westen gemacht wird. Manches war allerdings auch ein bißchen komisch: Du fährst bei einer militärischen Institution vor, mit einem Westauto, was die ja auch toll finden, und sofort kommen zwei Soldaten raus und laden Dir den Kofferraum aus. Du darfst noch nicht mal was anfassen.

Ihr habt die Ausstellungsräume selber hergerichtet und mit Genehmigung der Museumsleitung im wahrsten Sinne des Wortes einen „Tapetenwechsel“ vorgenommen.

Ja, faktisch war es wirklich ein Tapetenwechsel, aber völlig unbeabsichtigt. Die Ausstellung wird in einem Raum gezeigt, in dem vorher eine Ausstellung zur deutsch -sowjetischen Freundschaft stattfand, ein lächelnder Rotarmist, Nationale Volksarmee, Gorbatschow, Honecker, rosa Nelken. Die Rote Armee kam nun auf die Idee, die Stelltafeln einfach für unsere Ausstellung umzudrehen. Na ja und diese Rückseiten waren wirklich Rückseiten, so daß wir sie tapezieren mußten. Das gesamte Material, Tapete, Pinsel, Farbe, haben wir mit rübergebracht und dann die Stelltafeln wie gesagt mit Hilfe von Rotarmisten hergerichtet.

Welche Erfahrungen habt Ihr bei Eurem Projekt mit den anderen westlichen und östlichen Behörden gemacht?

Für die Ausstellung bekamen wir vom Westberliner Kultursenator einen kleinen finanziellen Zuschuß. Bemerkenswert fand ich, wenn man mit westlichen Regierungsstellen telefoniert hat, da gab es immer in der Sprache einen Konsens: „Wir im Westen“ gegenüber denen im Osten. Es wurde vorausgesetzt, man sei einer Meinung, aber diesen Konsens verspüre ich hier gar nicht so.

Und wie hat die DDR darauf reagiert?

Vielleicht läßt sich das am besten anhand einer kleinen Beobachtung darstellen: Wir sind einmal mit einem sowjetischen Vertreter nach Karlshorst gefahren und kamen dabei in eine DDR-Polizeisperre. Der Wagen des sowjetischen Vertreters wurde sofort herausgewunken und konnte weiterfahren. Als er sah, daß wir noch in der Polizeisperre sitzen, stieg er aus und erklärte dem Volkspolizisten, daß wir gemeinsam nach Karlshorst fahren. Und da war dann zu sehen, wie sein Gesicht förmlich runter ging und sein seit 40 Jahren in ihm kochender Antisowjetismus plötzlich hervorkam: Kommen da Schnösel aus West-Berlin mit einem Sowjetvertreter und die ganze Sperre ist plötzlich - nichts mehr. Zum ersten Mal hat mir ein Vopo richtig leid getan. Eine andere Beobachtung am Grenzübergang war, daß, wenn man als Ziel das Karlshorster Museum angab, sich die Grenzer immer sehr neugierig verhielten. Etwa so: Was macht ihr da eigentlich? Das schien ihnen immer suspekter. Natürlich waren die Grenzer sehr interessiert, was wir da alles rüberschleppen. Ist ja auch eine komische Situation: Wir machen etwas, was sie so ohne weiteres nicht können. Dabei wollten wir ja nur etwas mit den Karlshorstern, also mit den Sowjets, machen, und überhaupt nichts mit der DDR.

Interview: Birgit Meding

Ort der Ausstellung Russen-Bilder - Berlin 1945: Sowjetisches Militärmuseum, Karlshorst, Fritz-Schmenkel -Straße, Nähe S-Bahn-Station Karlshorst, Ost-Berlin.

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