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SPD fehlt die „zupackende Utopie“

■ Schiller für mehr Marktwirtschaft im SPD-Grundsatzprogramm / Europa-Spitzenkandidat Walter fordert Verlängerung der Diskussionsphase / Entwürfe höchstens für „sozialistischen Lyrik-Wettbewerb“ tauglich

Kiel (ap) - Der ehemalige Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller hat am Sonntag die Kritik an den bisherigen Entwürfen für das künftige SPD-Grundsatzprogramm um den Aspekt mangelnder marktwirtschaftlicher Orientierung bereichert. Gleichzeitig sprach sich der Vorsitzende der SPD Schleswig-Holsteins, Gerd Walter, dafür aus, mehr Zeit für die Diskussion über das Grundsatzprogramm einzuplanen. Auch Walter kritisierte die Entwürfe.

In einem 'ap'-Gespräch sagte Walter, der auch Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Europawahl ist, am Samstag in Kiel, er sehe in den Vorlagen noch „zu viel abwägende Erörterung und zu wenige zupackende Utopie“. So könne die Partei vielleicht einen „sozialistischen Lyrik -Wettbewerb“, nicht aber die Rennen um die politische und geistige Führung von Partei und Republik gewinnen, meinte der SPD-Politiker.

Nachdem selbst Mitglieder der engeren Parteiführung die Frage nach einer Verschiebung der abschließenden Beratung des Grundsatzprogramms aufgeworfen hätten, sei die ursprüngliche Terminplanung offensichtlich nicht zu halten, sagte Walter. Er selbst trete wegen der Stimmung an der Parteibasis im nördlichsten Bundesland und des bevorstehenden Europa-Wahlkampfes für eine Verschiebung ein. Eine Partei, die sich in interne Diskussionen verbeißt, könne keinen Wahlkampf führen.

Der frühere SPD-Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller, der auch Berater der Kommission ist, warnte seine Partei davor, in ihrer Wirtschaftspolitik „in die Zeit vor Godesberg“ zurückzufallen. „Was ich in den bisherigen Entwürfen lese, ist so antimarktwirtschaftlich, daß es mit Sicherheit an der Realität vorbeigeht“, sagte Schiller in einem Interview der 'Berliner Morgenpost‘ (Sonntagausgabe).

Der wirtschaftspolitische Leitsatz des Godesberger Programms „Wettbewerb so weit wie möglich - Planung so weit wie nötig“ müsse weiter Gültigkeit für die SPD haben. Einzelne Vorschläge schienen ihn zu ignorieren. „Wenn diese Vorschläge Inhalt des Parteiprogramms werden, droht der SPD ein Rückfall in die Zeit vor Godesberg“, sagte er.

Was in den bisherigen Entwürfen stehe, sei zu sehr von „Illusionen über die wirtschaftspolitischen Möglichkeiten des Staates erfüllt“. Er unterstütze die Initiative der Wirtschaftsminister der SPD-geführten Länder und anderer SPD -Wirtschaftspolitiker, die vor einem solchem Schritt warnten. Schiller sagte, in ihrem neuen Programm müsse die SPD klarmachen, „daß sie die moderne Industrie- und Informationsgesellschaft bejaht“. Sie müsse zeigen, daß sie nicht auf den Staat vertraut, der mit repressiven Maßnahmen in die Wirtschaft eingreifen soll, um ein „ausgewähltes Wachstum“ sicherzustellen.

Einer Verlängerung der Diskussion über das Programm zeigte sich Schiller nicht abgeneigt. Wichtig sei, daß „wir mißverständliche und unzulängliche Formulierungen der bisherigen Entwürfe beseitigen“.

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