: Presse-„Enthüllungen“ im Wahlkampf
'Welt am Sonntag‘ veröffentlicht Einzelheiten zur Verfassungsschutzüberwachung in Berlin während der SPD-Regierung / Informationen stammen wahrscheinlich aus einer Geheimakte ■ Aus Berlin Rita Hermanns
Wenn der Berliner Verfassungsschutz jahrelang hemmungslos observiert hat, so geht das auf das Konto der SPD. Zu dieser „Erkenntnis“ kommt die 'Welt am Sonntag‘ in ihrer gestrigen Ausgabe, drei Wochen vor den Wahlen in Berlin. Mit der Behauptung, SPD-Regierungen hätten sich Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre nicht davor gescheut, eigene Mitglieder auszuspähen, werden detailliert Vorgänge dargelegt, die möglicherweise aus einer Akte stammen, die den Mitgliedern des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses vorliegen.
Die politische Führung sei beispielsweise mündlich über die Aktivitäten der beiden Brandt-Söhne Peter und Lars während der Studentenunruhen auf dem laufenden gehalten worden, führt der Verfasser an. Lars Brandt, damals 16jährig, habe gar den SDS-Vorstand zu einem Umtrunk ins elterliche Haus einladen wollen, weiß die 'WamS‘. Ein „hochrangiger Verfassungsschützer“ habe darüber einem Senatsdirektor ebenso berichtet wie über die Tatsache, daß der damals 19jährige Peter Brandt Mitglied des Republikanischen Clubs gewesen sei. Zu den Kontrollierten sollen auch der Berliner SDS-Vorsitzende Tilman Fichter, der heutige SPD -Fraktionsvorsitzende im schleswig-holsteinischen Landtag Gert Börnsen, das ehemalige SPD-Mitglied Rechtsanwalt Hans -Christian Ströbele und der ehemalige taz-Journalist Michael Sontheimer gehört haben. Sowohl die Sontheimer- als auch die Fichter-Akte liegen dem Untersuchungsausschuß vor. Tilman Fichter, der heute wissenschaftlicher Mitarbeiter beim SPD -Parteivorstand in Bonn ist, wurde zu seinen SDS-Zeiten observiert. Aus seiner Akte könnten die Informationen am ehesten stammen.
SPD-Pressesprecher Werner Kolhoff sieht in dem Artikel „einen ziemlich durchsichtigen Versuch“, der SPD nun alles „anzuhängen.“ Seine Partei habe keine Angst davor, auch Aktivitäten des Verfassungsschutzes zu untersuchen, die während der Regierungsverantwortung der SPD begonnen haben.
Ab Dienstag sollen im Untersuchungsausschuß auch SPD -Politiker, wie der ehemalige SPD-Innensenator Peter Ulrich und der ehemalige Chef des Berliner Verfassungsschutzes Franz Natusch zu den Vorwürfen der Bespitzelung von Journalisten gehört werden. Heute werden der Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) und Innensenator Kewenig (CDU) befragt.
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